(Am 03.12.2022 geschrieben und als Rohmanuskript sofort hochgeladen. Die Autorin behält sich vor, Änderungen und Korrekturen für die finale Version vorzunehmen, welche nach 15 einzelnen Episoden im Bookshop als PDF´s und Ebooks zu kaufen sein werden)
Episode 5: "Alles gehört Ingrid!"
…Das Verhältnis zu meiner Schwester wurde zunehmend schlimmer für mich, je älter ich wurde. Sie war bereits 14 Jahre alt, als ich 5 Jahre alt war und sie wurde von meiner Mutter mehr und mehr wie eine Freundin behandelt. Meine Mutter hatte keine Freundinnen ihres Alters, denn das hätte meinVater auch gar nicht erlaubt. Also machte sie ihre Tochter Ingrid zur Verbündeten. Unsere Mutter vertraute ihr viele Dinge über ihre Ehe an und so entwickelte sich immer mehr ein Pakt zwischen den beiden. Allerdings war Ingrid auch absolut wichtig, dass unser Vater sie liebte und so versuchte sie alles, damit sie seine Aufmerksamkeit und seinen Lob bekam.
Sie war Meisterin der Manipulation. Je besser ihre Intrigen funktionierten, desto härter wurde es für mich. Ich hatte ja schon erwähnt, dass auch unser gemeinsamer Bruder John sehr unter ihrer manipulativen Anstiftung leidtragend war. Ebenso erging es mir und zwar in der Form, dass sie bei unserer Mutter hetzte und dafür sorgte, dass ich ständig Ärger bekam. Nach außen hat sie es aber dann so hingestellt, als ob ich, die Fünfjährige, irgendetwas getan hätte, wofür sie nun leiden müsste. Ich war für sie von Geburt an ein Feind, der eliminiert werden muss. Wann immer sie konnte, schikanierte sie mich. Sie schickte mich beispielsweise nachts in den dunklen Keller, um für sie Getränke zu holen oder Ähnliches. Ich weiss noch, als ich einmal versuchte, mich zu wehren und sagte, dass ich nun nichts für sie holen würde, half meine Mutter zu ihr und so musste ich doch gehen. Ingrids spöttisches Gelächter verfolgte mich die Kellertreppe hinab. Früh machte sie auch klar, dass eigentlich alles im Haus ihr gehört. Die ersten Sätze, die ich bewusst wahrnahm in diesem Bereich waren, dass sie ständig vor mir zu unserer Mutter sagte: „Mutti, das weiße Geschirr gehört mir eines Tages oder Mutti, deinen Schmuck bekomme ich mal oder Mutti, die Vase bekommt mal nicht Susan! Die gehört mir!“
Wie gesagt, ich war in diesem Moment noch ein Kind von 5 oder 6 Jahren und bereits zu diesem Zeitpunkt war schon alles an Ingrid verteilt. Ich verstand nicht einmal, dass man auf alles seine Besitzansprüche anmelden müsste. Es war mir absolut fremd und irgendwie geht mir das heute noch so. Selbst wenn ich nur irgendeine Figur in die Hand nahm und diese einfach nur näher ansehen wollte, sagte mir meine Mutter sofort: „Das gehört mal Ingrid. Das kannst du nicht haben!“
Ich habe das wirklich nicht verstanden, aber stellte alles sofort wieder zurück. Für mich war irgendwie klar: ich darf nichts anfassen, denn alles gehört Ingrid.
Ich mag wirklich ungern etwas Schlechtes über Menschen sagen, aber es ist die Wahrheit, wenn ich sage: Ingrid war ein kaltherziger, egoistischer, neidvoller und grausamer Mensch. Das Leid anderer bereitet ihr Freude. Vor allem das Leid von Menschen, denen sie neidvoll gegenübersteht. Es gibt außer ihr nur sie selbst und das, was aus ihr entsprungen ist. Ich habe Ingrid von jeher als Personifizierung des Bösen gesehen. Viva sagte nur immer: „Wo ist denn der Feldwebel?“, wenn sie von mir wissen wollte, wo Ingrid ist.
Es gab Momente, da tat sie mir aber auch leid, denn sie war wirklich nicht von der Natur besonders gut bedacht: sie war ziemlich stämmig gebaut und hat sich mit ihrer Vorliebe für Schokolade noch einiges dran gegessen, das sie nie wieder wegbekam. Damit war sie nicht glücklich. Ihre Haare waren dünn und ihr Gesicht war zwar nicht häßlich, aber sie war definitiv nicht der Schwarm der Schule. Ich glaube, das war dann auch noch ihr zusätzliches Problem, da sie in dieses gewisse Alter kam, in dem Jungs interessant wurden. Aber irgendwie punktete sie scheinbar nicht. Ihren Frust ließ sie dann an mir zu Hause aus. Da sie auch noch glaubte, dass mein Vater mich mehr liebte und zwar einfach nur deswegen, weil er mich ständig bewachte und kontrollierte, wurde es immer schlimmer für mich. Sie war mein Albtraum!
Meinen Bruder John hingegen liebte ich, denn er war meistens nett zu mir. Er war sehr ruhig und verschlossen. Außerdem schüchtern, da ihm mein Vater jegliche Daseinsberechtigung schon früh absprach. Für unseren Vater war John kein Mann, sondern ein Weichei, aus dem sowieso mal nichts wird. Die Einzige, die laut Aussagen unserer Eltern was drauf hätte, war Ingrid. Ich war ohnehin noch zu klein, aber auch da wurde bereits behauptet, dass ich ein viel zu sanftmütiges und dummes Lämmlein wäre, dass es mal zu nichts bringen würde. So sah ich wohl in John eine Art Seelenverwandten und ich war froh, wenn ich ihn manchmal in seinem Zimmer besuchen durfte, wo er seine Rennbahn aufgestellt hatte, mit dem Chemiekasten experimentierte oder Gitarre spielte. Da John aber 12 Jahre älter war als ich, hielt diese Zeit nicht lange an. Ich weiß noch, er war 18 Jahre alt, als er sich heimlich ein Auto kaufte. Nur meine Mutter wusste davon. Unglücklicherweise ist John damit in einen Weidezaun gefahren und dann in seiner Panik vor unserem Vater mit dem Auto geflüchtet. Ein paar Tage später stand der Bauer vor unserem Haus, dem der Zaun gehörte. Er wollte unseren Vater sprechen. Was dann kam, war der blanke Horror. Mein Vater kam ins Haus zurück und hat meinen Bruder so dermaßen im Treppenhaus verprügelt, dass dieser nur so auf die kantigen Marmorstufen mit dem Kopf knallte. Meine Mutter schubste mich schnell in die Wohnung zurück und sie musste dann mit ansehen, wie John von unserem Vater hart geschlagen wurde. Danach hat mein Vater meine Mutter zusammengeschrien, dass sie sicherlich von alldem wusste und dass das ein Skandal sei, wenn der Sohn des Polizisten Fahrerflucht begehen würde. Dieser Ärger hielt tagelang an.
Ich glaube, das war dann der endgültige Punkt, dass John wusste, er muss so schnell wie möglich ausziehen. Er war zwar zu dieser Zeit bereits meistens in einem Wohnheim der nahegelegenen Großstadt untergebracht, um dort seine Berufsausbildung absolvieren zu können, aber dennoch war er auch immer mal zu Hause. Wie Ingrid, tat er sich mit dem anderen Geschlecht schwer. Er war zwar groß, schlank und gutaussehend, aber viel zu schüchtern und so hatte er lange keine Freundin und ich glaube, er war dadurch sehr oft depressiv. Ich war also froh, wenn ich doch mal zu ihm ins Zimmer konnte, um etwas Zeit mit ihm zu verbringen.
Irgendwie fühlte ich mich durch all diese Zustände, wie ein Kind, das in dieser Familie nur abgegeben wurde und vergessen wurde. Ich konnte durch das alles, wie es mir selbst erging und auch, wie meine Geschwister sich verhalten haben, gar nicht glauben, dass ich mit diesen Leuten verwandt wäre. Ich war 5 Jahre alt, als ich erstmals und wirklich vollen Ernstes in Frage stellte, ob meine Mutter wirklich meine Mutter ist oder ob das vielleicht generell nur eine Leihfamilie wäre. Auch zog ich in Betracht, dass ich bei der Geburt vertauscht worden bin. Ich dachte über diese Fragen sehr intensiv nach und fragte die einzige Person, die ich so etwas fragen konnte: Viva.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie erstaunt sie über meine Gedanken war. Sie fragte: „Kindchen. wie kommst du denn da drauf?“ Ich sagte, dass ich das glaube, weil mich alle ständig anschreien und außerdem sind sie so anders als ich. Sie sind kalt, mögen keine Tiere und es geht immer nur um Besitz und Geld. Viva war sichtlich davon getroffen und sagte mir das auch noch, als ich bereits 35 Jahre alt war. Das hat sie nie vergessen, dass ich solche Zweifel in mir trug. Es war aber wirklich alles so fremd für mich. Der ganze Umgang miteinander und auch die Tatsache, dass ich immer die Welt am liebsten retten wollte (vor allem alle Tiere) und die Anderen sich überhaupt nicht für andere Geschöpfe interessiert haben, machte mich einfach stutzig, ob wir wirklich verwandt sind. Ich konnte das nicht verstehen, war ich doch das Kind, das Regenwürmer aus der Erde rettete, weil es dachte, die ersticken dort…
An dieser Stelle müssen Susan und ich lachen. Ich unterbreche ihre Ausführung und sage: „Das ist jetzt wirklich niedlich. Was haben sie mit den Regenwürmern gemacht?“, will ich wissen. Susan steckt sich die Haare etwas hoch, während sie lachend antwortet: „Ich hatte sie in meinen Schürzentaschen gesammelt und dann ganz stolz meiner Mutter und Viva gezeigt. Meine Mutter war entsetzt und schickte mich damit weg. Aber Viva klärte mich auf, dass die Würmer in der Erde leben und woanders sterben würden. Also habe ich sie zusammen mit Viva wieder fein säuberlich nacheinander auf lockere Erde gesetzt und kontrolliert, ob sie alle sicher nach Hause kommen.“
„Herrlich, Susan! Ich bin wirklich froh, dass bei all diesen bisher harten Ereignissen dennoch immer etwas Zeit für lustige und unterhaltsame Bereiche sind. Das ist wirklich niedlich und zeigt natürlich auch einmal mehr, wer SIE sind. Ich glaube, sie waren der einzige Empath unter all den Narzissten und Egoisten der Familie. Kann das sein?“, frage ich nachdenklich. Susan nickt, „Ja, das war wohl so. Zumindest habe ich die Antworten auf all diese Fragen später in Tibet erhalten.
„Das ist natürlich hart, wenn man als Letzte und dann auch noch als Empath unter lauter Erwachsene gerät, die überwiegend egoistisch und narzisstisch sind. Ich glaube, ich verstehe zunehmend, dass Viva ihr Lebenselixier war, so wie sie es nannten. Vermutlich wäre andernfalls ein total gebrochener und depressiver Mensch aus ihnen geworden oder was denken sie?“, frage ich. Susan blickt gedankenversunken aufs Meer und bestätigt: „Ja, das denke ich auch. Ich hätte das alles mental und vielleicht auch körperlich nicht überstanden, wenn nicht diese wunderbare, diplomatisch-kluge und charakterlich starke Frau bei uns eingezogen wäre. Sie hat mir eine andere Welt gezeigt.“
„Das leuchtet mir total ein. Aber ich muss sagen, dass ihr außergewöhnliches Leben viel Mut gibt. Da ich sie als absolut starke und lebensfrohe Frau wahrnehme, macht es mir wirklich große Freude, ihre Geschichte weiter aufschreiben zu dürfen. Es ist so spannend und inspirierend, wie sie es dennoch schafften, ihre ganz eigene Überlebensstrategie zu entwickeln und später den Weg einer selbstbewussten Frau gehen konnten, ohne dabei auch ein kalter Mensch zu werden. Jetzt will ich aber unbedingt wissen, wie es weitergeht und bitte verraten sie mir auch, ob und welche Überlebensstrategien sie entwickelten.“, bitte ich Susan aufgeregt.
„Ja, ich sage ihnen gerne, was mich - außer Viva, am Leben hielt und stark machte. Meine Strategien fing ich an zu entwickeln, als ich ungefähr 4 - 5 Jahre alt war.. Ich habe mir diverse Slogans geschaffen, welche meine ganz persönlichen Gebote waren. Ich erzähle ihnen aber gerne noch mal ein paar andere Situationen, die ebenfalls sehr prägend für mich waren und die somit der Nährboden für meine Überlebensstrategien wurden.“, erklärt Susan und so erzählt sie weiter:
Fortsetzung kommenden Sonntag. Verpasse nicht, die Einleitung, Episode 1 , Episode 2, Episode 3 und Episode 4 vorab zu lesen. Im Abobereich kannst Du bereits alles Episoden bequem am Stück lesen. Sie sind dort teilweise auch schon weiter überarbeitet.)
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Nein, aber mache ich gleich.
€ 9,95 monatlich ist mir zu teuer dafür.
Absolut toll beschrieben…