(Am 01.12.2022 geschrieben und als Rohmanuskript sofort hochgeladen. Die Autorin behält sich vor, Änderungen und Korrekturen für die finale Version vorzunehmen, welche nach 15 einzelnen Episoden im Bookshop als PDF´s und Ebooks zu kaufen sein werden)
Episode 4: "Die Kindergartenverweigerin"
Endlich ist es soweit, heute ist der neue Termin mit Susan. Wir werden künftig viele Videocalls abhalten, da die räumliche Distanz zu groß ist, als dass wir uns für jede Fortsetzung der Biografie persönlich treffen könnten. Aber hey….dafür leben wir in 2022. Ich bin sehr glücklich, dass es diese Art von Kommunikation gibt.
So setze ich mich vor den Rechner und sende Susan die Einladung für unsere Videokonferenz. Sofort nimmt sie diese an und ich sehe, wie sie strahlend auf ihrer sonnigen Terrasse am Meer sitzt. „Na das nenne ich mal einen blendenden Auftritt, Susan! Wie geht es ihnen?“, will ich begeistert wissen. Sie nickt zufrieden und sagt: „Alles gut hier, danke! Allerdings gab es ein paar Turbulenzen und so ist es gut, dass wir etwas mehr Zeit verstreichen ließen, bis zum nächsten Termin.“ Ich bin natürlich neugierig und will wissen, was los war. Susan erwidert: „Ach…wo soll ich anfangen? Mein Leben ist eine einzige Achterbahn und die letzten Wochen waren wieder sehr hart, denn mein alter Simba hatte einige schwere Operationen. Ihm wurden zwei Geschwüre entfernt, wobei einer davon ein bösartiger Tumor war. Außerdem hatte er eine zweite OP, wobei ihm die Luftröhre geweitet wurde, da er aufgrund einer Kehlkopflähmung nur noch schlecht Luft bekam. Das war alles sehr anstrengend und belastend für uns beide und ich war in großer Sorge, ob er es überleben würde. Hinzu kommt, dass ich gerade eine neue Firma gründe, sehr wenige finanzielle Mittel dafür zur Verfügung habe und mir diese Eingriffe obendrein gar nicht leisten konnte.“
„Uff!“, entfährt es mir mitfühlend. „Das ist ja wirklich sehr hart und belastend! Waren denn die Operationen erfolgreich und wie haben sie das finanziell gelöst?“ Susan lacht glücklich in die Cam und schwenkt diese zu Simba. „Schauen sie, Barbarella, er ist wie neu! Alles ist überstanden. Der Tierarzt gab uns eine gute Prognose und meinte, Simba könnte locker noch 1 bis 3 Jahre gut leben. Sie glauben gar nicht, wie glücklich ich bin. Er ist mein Ein und Alles! Aber denken sie jetzt nicht, ich hätte ihn nicht erlöst, wenn es besser für ihn gewesen wäre. So egoistisch bin ich nicht! Nach Absprache mit dem Tierarzt gab es sehr gute Chancen und so habe ich den Operationen zugestimmt.“, fügte sie fast schon entschuldigend an.
„Alles gut, Susan! Ich würde sie niemals verurteilen. Ich habe gesehen, dass Simba noch sehr gut in Schuss ist und ich habe auch bemerkt, dass sie ihn sehr lieben…und er sie. Nun haben sie Beide um sein Leben gekämpft und erstmal gewonnen! Ich gratuliere! Wie konnten sie das finanziell regeln und welches Geschäft bauen sie denn gerade auf?“, will ich weiter wissen. Sie richtet die Cam wieder auf sich und strahlt mir entgegen: „Also finanzieren konnte ich es, weil ich mein Herz an ein paar mitfühlende Menschen geöffnet habe, die mir mit Spenden geholfen haben. Außerdem war der Tierarzt geduldig. Ich bin so dankbar! Und das Geschäft, das ich aufbaue…nun ja, das kann ich nicht so kurz erklären. Ich sage mal so: Ich baue etwas Großes auf, das Menschen glücklich macht, aber was das ist, möchte ich jetzt nicht sagen, denn sonst überspringen wir ca. 46 Jahre meines Lebens und befinden uns im Jetzt. Das wollen wir doch nicht! Wir wollen eine Biografie schreiben und die beginnt bei null, oder nicht?“, fragt sie mich herausfordernd schmunzelnd.
Ich nicke lächelnd und sehe, Susan ist eine harte Nuss. Wenn sie einen Weg so und so gehen will, dann geht sie ihn und entweder geht man mit ihr oder man läßt es. „Ja, sie haben natürlich recht! Wenn wir nun über die Gegenwart sprechen, hätte das Buch eine große Lücke. Es würde vermutlich sehr viele Fragen offen lassen und niemand wüßte, was sie zu so einer Kämpferin gemacht hat. Also dann lassen sie uns zum Ende der letzten Sitzung gehen. Ich wollte, so gerne mehr über Viva und sie erfahren, denn ich glaube, diese Frau war extrem wichtig für sie. Erzählen sie mir bitte ausführlicher, wie ihre Kindheit im Zusammenspiel mit ihr verlief. Aber bevor sie das tun, sagen sie mir bitte, warum sie Frieda Viva nannten. Viva ist das spanische Wort für Leben. Haben sie das damals schon gewußt?“ frage ich interessiert.
Susan sieht grinsend zur Seite, ehe sie anfängt, mir zu antworten. „Das mit dem Namen ist ganz profan! Ich konnte als kleines Kind einfach nicht die Buchstabenverbindung FR aussprechen und so kreierte ich den Namen Viva.“ Ich lache auf, denn das ist wirklich süß, zumal ich mir etwas ganz Tiefes hinter dem Namen versprochen hatte. Susan lacht mit, wird dann aber wieder ernster und fügt an: „Nun gut, es war kindliche Kreativität, die mich den Namen ahnungslos kreieren ließ, aber viele Jahre später, habe ich einem Mann davon erzählt und dieser war sehr tiefgründig. Auch ihm fiel auf, dass Viva das spanische Wort für Leben ist. Er meinte, das hatte wohl damals schon irgendwie etwas unterbewusst Symbolisches, denn Viva war für mich tatsächlich eine Art Lebenselixier, in dieser autoritären und kalten Umgebung, in der ich aufwuchs. Ich muss sagen, das, was er sagte, hatte mich damals sehr zum Nachdenken gebracht und ich bin der Meinung, er hatte recht. Sie war mein Lebenselixier, mein Engel, mein Anker im Sturm und mein Vorbild!“
Ich verstehe sie komplett und nicke ihr zustimmend zu. „Glauben sie an Schicksal oder Fügung?“, will ich wissen. Susan streicht sich durch die blonden Haare und sagt: „Ja, ich glaube, dass es für alles im Leben einen Grund gibt. Ich glaube, dass jede Begegnung einen Sinn hat. Ich glaube, dass einem irgendwie das Leben vorbestimmt ist. Ich glaube aber nicht an Religionen und ich glaube nicht an einen Gott, sondern an die Natur und die Kraft in uns selbst. Aber ich glaube, ich habe eine Art Schutzengel, der mich in letzter Sekunde immer rettet, weil er wieder mal mein SOS nicht gehört hat. Denn er sitzt ja immer besoffen in einer Kneipe und hat irgendwelche Frauen auf dem Schoß. Erst wenn mein SOS ganz laut wird, dann kommt er geflogen und hilft mir in letzter Sekunde - immer dann, wenn ich nur noch mit dem Fingernagel des kleinen Fingers über dem Abgrund hänge - dann kommt mein Schutzengel vorbei! Zumindest ist das so, seit Viva von mir ging.“
Ich kann nicht anders und lache laut auf. Allein die Vorstellung, wie Susans Schutzengel unterwegs ist, lässt meine Fantasie übersprudeln. „Na, herrlich Susan! So einen Typ braucht man! Wie gut, dass sie als Kind Viva hatten! Sie war wohl das genaue Gegenteil von ihm.“, stelle ich fest. Susan lacht mit und fügt an: „Das kann man wohl sagen, dass Viva das Gegenteil von ihm war und ich hoffe, dass Viva nochmal zum Dienst antritt, denn mit dieser unzuverlässigen Aushilfe, die sie da gesendet hat, bekomme ich mein neues Lebenswerk nur schwer groß!“
Wir amüsieren uns beidseitig noch ein wenig, bevor wir endlich wieder zurückkommen: zur kleinen Susan, die knapp 4 Jahre alt ist und mit Viva an ihrer Seite groß wird. Wir machen einen Zeitsprung und Susan erzählt weiter:
Die ersten Jahre musste ich mein Zimmer noch mit Ingrid teilen, aber unser Vater baute zügig das Dachgeschoss aus, sodass „die beiden Großen“, wie meine Eltern sie nannten, zwei Etagen höher ihre Zimmer hatten. Ich bekam ein extra Zimmer im ersten Stock, direkt neben der Wohnung des anderen Mieters meiner Eltern: Herrn Serz. Er war ein sehr freundlicher, korrekter, älterer Herr. Er war ein ehemaliger Bankdirektor und - genau wie Viva - alleinstehend. Zusammen mit einem befreundeten Ehepaar unternahm er lange und spannende Fernreisen.
Meine Mutter putzte seine Wohnung, wozu ich manchmal mitkommen durfte. Ich fand es so spannend bei Herrn Serz, denn in seiner Wohnung waren einige Mitbringsel seiner Fernreisen präsentiert, außerdem habe ich zu gerne seine Bücher- und Mineraliensammlung bestaunt. Er hatte viel Literatur über ferne Länder und über Kunst. Besonders liebte ich seinen alten wuchtigen Ohrensessel, in den ich mich zu gern setzte und mich wie eine kleine Königin fühlte, während ich seine Bücher oder Mineralien und Versteinerungen studierte.
Durch ihn inspiriert, fing ich früh an, über ferne Länder nachzudenken und meine Leidenschaft für Mineralien zu entdecken. Mit meinen 1000 Fragen dazu, bin ich stets postwendend zu Viva, die, so gut es ging, diese Fragen beantwortete oder mit mir umgehend zur nächsten Mineralienausstellung lief, damit wir ein paar Steine für mich kauften.
Meine Neugierde und mein Wissensdurst nach dem Leben wurde immer größer und so konnte ich morgens kaum erwarten, bis Viva endlich wach war, damit wir wieder los konnten. Oft schnürte ich mein Bündel an Klamotten bereits um 5 Uhr morgens und wartete ungeduldig, bis ich durch das hallende Treppenhaus endlich hörte, wie sie um 6 Uhr ihre Wohnungstür aufschloss. Sofort rannte ich dann immer im Schlafanzug nach unten, damit sie mir beim Anziehen half und ich mit ihr frühstücken konnte.
Schließlich kam das Alter, in dem ich in den Kindergarten hätte gehen können. Ich werde nie vergessen, wie Viva mit mir zusammen immer wieder daran vorbeiging und mir erklärte, was das sei. Es hatte mich aber nie interessiert. An einem Tag, das weiß ich noch, blieben wir direkt vor dem Zaun stehen. Dahinter spielten all die Kinder. Sie rannten herum, zogen sich gegenseitig an den Haaren und haben, für meinen Begriff, unheimlich rumgebrüllt. Wir blieben also davor stehen, Viva hielt mich an der Hand und sie fragte: „Kindchen, willst du nicht auch in den Kindergarten gehen? Schau mal, wie schön, sie spielen. Du könntest andere Kinder kennenlernen.“ Just in diesem Moment rannte ein Junge an den Zaun, krallte sich in die Maschen, schwang darin nach vorne und hinten und brüllte mich, wie ein Wahnsinniger, an. Ich werde nie vergessen, wie entsetzt ich war. Ich sah nur meine Viva an und sagte: „Nein, bitte nicht. Die sind hier verrückt. Da gehe ich nicht hin.“ Viva lachte und so gingen wir Eis essen. Ich werde nie vergessen, wie glücklich ich mit ihr beim Eis saß und an mein Entkommen dieser Anstalt dachte.“
Ich unterbreche Susans Erzählung, da ich herzhaft lachen muß. „Das ist zu köstlich, Susan! Wirklich, das haben sie so empfunden?“ Susan lacht mit und bestätigt: „Ja, absolut. Das waren wirklich meine Gefühle und meine Gedanken! Ich war ab dem Moment, eine Kindergartenverweigerin. Ich dachte: wieso, soll ich zu diesen Wahnsinnigen, die mich anbrüllen und mir an den Haaren ziehen, wenn ich doch mit Viva so viel lernen und entdecken kann. Ich bin doch nicht verrückt! Ja, genau, mit diesen Gedanken saß ich danach mit ihr in der Eisdiele und später hat Viva das auch so meiner Mutter berichtet. Das Thema war somit durch und ich wurde nicht Zwangseingewiesen!“. Wieder muss ich über ihre Formulierung lachen. „Herrlich Susan, langsam wird ihre Geschichte immer lustiger. Ich bin froh! Aber dennoch, leicht war ihre Kindheit ja doch nicht. Erzählen sie mir bitte, wie es zwischenzeitlich in ihrem Elternhaus ablief und wie das Verhältnis zu ihren Geschwistern zwischenzeitlich verlief.“
Fortsetzung kommenden Sonntag. Verpasse nicht, die Einleitung, Episode 1 , Episode 2 und Episode 3 vorab zu lesen. Im Abobereich kannst Du bereits alles Episoden bequem am Stück lesen. Sie sind dort teilweise auch schon weiter überarbeitet.)
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Mich hätte Mord und Totschlag mehr interessiert