(Am 19.11.2022 geschrieben und als Rohmanuskript sofort hochgeladen. Die Autorin behält sich vor, Änderungen und Korrekturen für die finale Version vorzunehmen, welche nach 15 einzelnen Episoden im Bookshop als PDF´s und Ebooks zu kaufen sein werden)
Episode 3: "Das ungewollte Kind"
Gedanklich bin ich jetzt wieder in meinem Arbeitszimmer und schreibe nach Susans Erzählung ihre Lebensgeschichte weiter:
Die stets freundliche und respektvolle Frieda (Viva) hat sich schnell in den streng geordneten Polizistenhaushalt eingefügt. Sie war wirklich genau nach Edwins Geschmack: äußerst ruhig, sauber, ordentlich und hilfsbereit. Sie war der disziplinierteste Mensch, den man sich vorstellen kann:
Jeden Morgen um 6 Uhr stand sie auf. Sie hatte ihr striktes Tagesprogramm, wobei sie jeden Morgen und Abend das Gleiche zu sich nahm: Zwei Scheiben Knäckebrot, etwas Margarine, Marmelade, Käse und Tee. Danach hat sie sich stets sportlich elegant gekleidet, ging ins Bad, um sich die Haare akkurat zu frisieren. Dazu legte sie immer ein Tuch um die Schultern, damit keinesfalls ein Haar auf der Kleidung landete. Dann machte sie ihr Bett mit akribischer Genauigkeit und putzte ein wenig durch die Wohnung, bevor sie nach draußen ging, um spazieren zu gehen oder um ihre Einkäufe zu erledigen. Da Hilma mit dem großen Haus und den Kindern sehr beschäftigt war, hat Frieda die junge Familie entlastet, indem sie für diese auch immer mal kleinere Besorgungen erledigte, wenn sie ohnehin unterwegs sein wollte. So entstand eine respektvolle, alle Etiketten wahrende und gut funktionierende Symbiose zwischen der Familie und der älteren Dame.
Bei einem Nachmittagskaffee, den Hilma und Frieda zusammen abhielten, berichtete Hilma, dass sie noch einmal schwanger ist und im neuen Jahr ein weiteres Kind erwartete. Frieda war nur verhalten begeistert und sagte: „Oh, wie schön, aber bitte, das Kind darf nicht zu mir. Kinder fassen alles an, machen Dreck und Unordnung.“ Hilma versprach ihr das und fügte an: „Ich finde es auch ganz schrecklich, nochmal schwanger zu sein. Ich wollte doch kein Kind mehr - in diesem Alter! Jetzt, da die anderen beiden schon aus dem Gröbsten raus sind, kommt nochmal eines. Das ist so schrecklich! Ich sage ihnen, sollte ich das Kind irgendwo verlieren, dann lasse ich es liegen!“ Frieda konnte zwar nachvollziehen, dass Hilma kein weiteres Kind wollte, aber diese Worte fand sie dann doch zu hart und so beruhigte sie die junge Frau: „Ich bin ja auch noch da und kann etwas mehr für sie einkaufen gehen, wenn sie wollen.“ Hilma nickte und sagte: „Ja, gerne. Mein Mann sieht ein weiteres Kind nicht so eng. Da er so ein rechnender beziehungsweise geiziger Mensch ist, sieht er darin den Vorteil von mehr Kindergeld, was die Familie finanziell entlasten wird. Wissen sie“, fügte Hilma an: „Natürlich müssen wir sparen, aber er teilt mir das Geld ganz knapp ein. Ich habe fast kein Haushaltsgeld und muss sehen, wie ich mit der lächerlichen Summe, die er mir gibt, 4 und bald schon 5 Personen verköstigen und einkleiden kann. Dabei will er beim Essen aber auf nichts verzichten. Das ist alles sehr belastend für mich und jetzt noch ein Kind, das ich überhaupt nicht will!“ Mit diesen Worten schälte sie sich zitternd eine weitere Orange, was seit ihrer Schwangerschaft zu ihrer ungewöhnlichen Heisshungerattacke wurde und sah während des Essens betreten in die Ferne.
In einer kalten Februarnacht 1972 um 4:20 morgens war es dann soweit: Hilma lag im Gemeindekrankenhaus und hatte schreckliche Schmerzen, als das Kind kommen wollte. Vielleicht war es eine Art Strafe für Hilmas Worte, denn an dieser Geburt wäre sie fast gestorben. Das Kind, die kleine Susan, war scheinbar schon gleich zu Lebensbeginn neugierig auf die Welt und so ist sie mit dem Gesicht voran erschienen. Die Schmerzen für Hilma waren unermesslich und das Ärzteteam war in Aufregung um Mutter und Kind.
Endlich! Nach einiger Zeit des Bangens für Edwin, der im Krankenhausflur wartete, war es geschafft. Der Arzt verkündete ihm die frohe Botschaft, dass beide wohlauf sind, wenngleich seine Frau noch einige Zeit viel Ruhe brauchen würde. Edwin ging zu Hilma und dem Mädchen und entschied, dass es Susan heißen soll. Danach ging er müde, aber zufrieden nach Hause, denn das Kind war gesund. An den kommenden Tagen nahm er John und Ingrid mit, um die Beiden zu besuchen. Dabei begegnete ihm ein Kollege, der ebenfalls Vater geworden war und Edwin ohnehin nicht wohlgesonnen war. Dieser Kollege sah das Neugeborene an, das Edwin stolz auf dem Arm trug, als er mit seiner Familie auf dem Krankenhausflur stand. Er sagte beim Blick auf das Baby neidvoll zu Edwin: „Typisch, Edwin Bastoy hat wieder mal das Schönste!“ Dann ging er weiter und lies das Paar verblüfft stehen.
Wer weiß, vielleicht war das der Samen, der später dafür sorgte, dass Edwin dieses Mädchen bewachte, wie eine Gefangene und auch Ingrid so von Neid zerfressen sein ließ, dass sie ihr Leben lang damit beschäftigt war, Susan auszuschalten und loszuwerden.
Nach einigen Tagen war es dann so weit: Hilma und Susan durften nach Hause. Sie zeigte das Baby der schon wartenden Frieda. Zu Hilmas Verblüffung war diese sofort total verliebt, in das kleine putzige Kind, wie sie es wörtlich nannte. Friedas Vorsätze, dass das Kind nicht zu nahe kommen dürfte, sind wohl mit dieser ersten Begegnung gefallen.
Auch wenn Hilma noch geschont hätte werden müssen, musste sie sofort im Haushalt wieder alles in Ordnung bringen, was dort seit der Entbindung angefallen war. Da Edwin sexuell ausgehungert war und auf seine regelmäßigen „Rationen“ bestand, musste Hilma auch dafür wieder gleich verfügbar sein, was ihr große Schmerzen bereitete. Der Alltag der Bastoys nahm also seinen gewohnten Lauf wieder an, indem gemacht wurde, was Edwin sagte.
Ich erinnere mich, als Susan bei diesem Punkt ihrer Erzählung angekommen war, stoppte ich wieder die Aufnahme, als wir auf der Terrasse saßen und fragte neugierig: „Susan, woher wissen sie das alles so genau, was sie mir hier erzählen? Sie waren doch noch nicht mal geboren beziehungsweise noch ein Baby, als das alles passierte.“ Susan lehnte sich nach vorne und antwortete: „Weil mir das alles meine Mutter später haarklein erzählt hat. Wissen sie, bereits in meinen frühen Kindheitsjahren hat sie mich ohnehin ständig spüren lassen, dass sie mich nicht wollte. Wie ich schon sagte, hat sie gerne ihren aufgestauten Frust an mir ausgelassen und mich dann ständig bestraft oder geschlagen. Ich weiß noch, einmal hat sie mich übers Knie gelegt und mit dem Kochlöffel so versohlt, dass ich vor Schmerzen nur so geschrien habe. Abends, als die Familie zusammen beim Essen saß und ich immer noch weinte, haben alle nur gelacht. Vor allem Ingrid genoss es.“
„Wie waren sie denn als Kind? Wie würden sie sich beschreiben, Susan?“, wollte ich wissen. „Ich war ein beobachtendes und ruhiges Kind.“, antwortete Susan nachdenklich. „Ich denke, ich habe schon früh gespürt, dass ich in einer gefährlichen Umgebung aufwachse. Um mich herum waren nur Erwachsene, die mich alle nicht wirklich wollten. Denn meine Geschwister sah ich auch als Erwachsene. Das hat mich sehr vorsichtig gemacht. Meine Taktik war daher, lieber nichts zu sagen und möglichst alles richtig zu machen, denn ein Kind versucht immer alles, um von seiner Familie und vor allem von der Mutter geliebt zu werden. Gerne habe ich mich mit mir selbst beschäftigt, indem ich ruhig vor mich hin spielte oder malte. Also ich würde sagen, es gab keinen Grund, mich so zu schlagen. Aber wie ich schon sagte, sie ließ den Frust an mir aus, den sie in sich trug, weil mein Vater sie so unterdrückt hat.“
Ich nickte und sagte: „Ja, ich verstehe. Das war sicherlich so. Sie waren die Kleine und somit der passende Punchball für ihre Mutter.“ Welche Rolle spielte dann ihre Viva dabei? Sie sagten ja anfangs, dass das ihre Viva war.
Susan lächelte und antwortete sichtlich glücklich: „Sie war mein Engel! Wirklich! Wäre diese Frau bei uns nicht eingezogen, ich denke, ich wäre heute ein komplett anderer Mensch. Sie hat mich aufgefangen und beruhigt und außerdem hat sie mich schon früh zu ihren täglichen Spazierrunden mitgenommen. Auf diesem Wege, kam ich von zu Hause raus und so hat sie mir vieles gezeigt und gelernt, was ich sonst nicht erfahren hätte. Schon mit 4 Jahren bin ich mit ihr große Runden durch die Natur gelaufen. Dabei konnte ich sie wirklich alles fragen. Alles!“, wiederholte Susan begeistert und fuhr fort: „Ich lernte auch sehr früh fließend zu sprechen. Ich denke, das habe ich ihr zu verdanken, da sie eben viel mit mir redete. Ich weiß noch gut, dass mich zum Beispiel dieser tote Mann, der da überall am Wegrand hing, sehr beschäftigte.“, erzählte Susan weiter. „Ich wollte wissen, warum der arme Mann da überall rumhängen würde. Viva erklärte mir, dass das Jesus ist, der Sohn Gottes und der hängt am Kreuz als Warnung für die Menschen. Das hatte mich so interessiert, dass ich dann den ganzen Weg über mit ihr darüber sprach. Ich wollte alles wissen: wer ist denn Gott, wer ist Jesus, warum soll der mahnen und warum überhaupt machen Menschen so schlimme Dinge und so weiter. Viva war selbst nicht gläubig, aber sie hat mir wirklich alles ganz genau erklärt, völlig neutral und eher wissenschaftlich. Ich liebte es, denn wir haben stundenlang philosophiert über jedes Thema, das ich gerne wissen wollte.“
„Das ist toll und ich freue mich so sehr, dass sie so einen Engel dann doch im jungen Leben hatten.“, sagte ich erleichtert, als ich das hörte. Susan zog sich die Jacke etwas mehr zu, da es kühler wurde und nickte zustimmend: „Ja, Viva war wirklich das größte Geschenk meines Lebens. Ich habe sie unglaublich geliebt!“
„Erzählen sie mir bitte mehr von Viva und ihnen.“, bat ich. Susan strahlte dabei und sagte: „Gerne doch! Wie gesagt, ich bin mit ihr stundenlang täglich unterwegs gewesen. Das waren jeden Tag mehrere Kilometer, die wir zusammen abgewandert sind. Wenn es weniger schönes Wetter gab, sind wir dennoch raus und in den Ort gegangen, um zusammen Eis zu essen oder in den Spielzeugladen zu gehen, an dessen Schaufenster ich mir immer die Nase wegen der Matchbox-Autos platt drückte. Sie hatte wirklich nicht viel Geld, aber sie hat mir dennoch ab und zu ein Auto gekauft oder später Barbies.“ Susan grinste mit diesen Worten wirklich glücklich vor sich hin und ich bemerkte, dass sie dabei ein wirklich süßes Grübchen auf einer Seite der Wange hat. Sie erzählte weiter: „Was habe ich das geliebt, denn meine Eltern hätten mir weder eine Kugel Eis noch Spielzeug gekauft. Sie mussten ja für ihr Haus und für das Auto sparen, das Edwin wollte. Daher gaben sie mir immer die Puppen, mit denen Ingrid früher spielte, aber ich konnte damit gar nichts anfangen. Ich habe nicht verstanden, was ich mit Babypuppen tun könnte. Ich weiß, ich habe mal einen gebrauchten Kinderwagen von ihnen hingestellt bekommen. Darin lag eine Babypuppe. Sie sagten, ich soll das mal schieben, denn Mädchen machen das. Ich habe das genau einmal getan: kurz durch den Garten und wieder zurück. Ich sah keinen Sinn darin und ließ ihn stehen. Da war ich ungefähr 4 Jahre alt. Ab da war für alle klar: Das Kindchen, so wie mich Viva immer nannte, wollte lieber Spielzeug für Jungs. So durfte ich die alten Spielzeugautos und Legos von John übernehmen und als Krönung kaufte mir Viva manchmal noch neue Autos dazu. Das hat mich immer unglaublich glücklich gemacht! Mit diesen Autos habe ich dann stundenlang in meinem Zimmer oder bei Viva auf dem Teppich gespielt. Oft haben wir auch Bekannte von ihr besucht, die in ihrem Alter waren. Dabei hatte ich meist 2-3 Autos dabei. Damit habe ich ruhig gespielt und auch zugehört während die Erwachsenen sich unterhielten oder Viva legte mir Papier und Stifte hin und ich malte stundenlang. Manche ihrer Bekannten hatten große Wildgärten worin auch Katzen oder Schafe unterwegs waren und so bin ich auch liebend gerne in deren Gärten rumgerannt, um die Natur zu entdecken und mich mit Tieren anzufreunden. Das war etwas das man bei uns zu Hause nämlich auch nicht einfach so durfte, denn mein Vater hatte ja Schichtdienst und musste oft tagsüber schlafen. Dabei musste man absolut leise sein, da er sonst ausgerastet wäre.“
„Susan, ich habe noch so viele Fragen zu dieser wichtigen und prägenden Lebensphase, aber leider muss ich gleich zum Flughafen, wie sie wissen.“ unterbrach ich sie gefühlvoll. „Können wir die Fortsetzung davon in den kommenden Tagen per Video Call machen? Sie wissen ja, das Treffen heute sollte zu unserem ersten Kennenlernen dienen. Ich bin wirklich mehr als gespannt, wie es weitergeht und würde sie gerne demnächst anrufen.“ Susan nickte verständnisvoll: „Ja natürlich, das wusste ich ja. Sie müssen los. Auch Simba will jetzt sicher noch ein wenig laufen und danach gehen wir nach Hause, um seinen Hunger und den der Miezen zu stillen.“ lachte sie. „Ach, Katzen haben sie auch?“, fragte ich begeistert und fügte an: „Na ich bin gespannt, was deren Lebensgeschichten sind. Ich kann mir mittlerweile nicht mehr vorstellen, dass irgendetwas oder irgendjemand einfach nur so - völlig ereignislos - in ihr Leben kam. Ich glaube, sie sind jemand, der eine besondere Aura hat und vermutlich verhält sich das mit ihren Tieren genauso.“, bemerkte ich, während ich ihren ausdrucksstarken Hund nochmal streichelte.
Sie stand auf, lächelte mich freundlich an, hielt mir zum Abschied ihre Hand hin und sagte: „Also langweilig wird ihnen mit meinen Geschichten sicher nicht werden. Keine Sorge. Ich wünsche ihnen einen guten Flug und freue mich auf ihren Anruf. Ich bin gespannt, was sie bis hierhin schon schreiben werden. Mein Gefühl ist aber sehr gut dabei. Ich mag sie und das ist nicht selbstverständlich!“, ergänzte sie nun richtig lachend.
Wir verabschiedeten uns und ich flog zurück nach Hause, wobei mir der Gedanke kam, dass mir Susan, trotz alledem, so herrlich schwerelos erschien. Ich denke, das Buch sollte „Weil wir fliegen können“ heißen und ich wünschte mir, dass ich noch eine lange Begleiterin ihrer abenteuerlichen Lebensreise sein kann.
Nun ist es schon spät und ich sitze bereits seit einigen Stunden an meinem Schreibtisch. Ich bin zufrieden über den Fortlauf der Geschichte und denke, ich habe mit dem Mix aus Vergangenheit und Gegenwart eine gute Variante getroffen, diese doch erstmal dramatisch anfangende Lebensgeschichte schonend aufzubrechen und zu erzählen. Zufrieden, dass ich die ersten Seiten bereits geschrieben habe, klappe ich den Laptop zu. Ich freue mich, wenn ich Susan bald wieder höre. Nun ist aber wirklich Schlafenszeit für mich und meinen Kater Gonzo.
Fortsetzung kommenden Sonntag. Verpasse nicht, die Einleitung , Episode 1 und Episode 2 vorab zu lesen. Im Abobereich kannst Du bereits alles Episoden bequem am Stück lesen. Sie sind dort teilweise auch schon weiter überarbeitet.)
Wirst Du die Geschichte abonnieren?
Auf jeden Fall!
Nein, wenn ich dafür zahlen soll interessiert es mich nicht.
Nun ist Sie auf der Welt,wieder sehr schön zu lesen,und man erfährt schon einiges über Susan.Je mehr Episoden um so besser gefällt mir Susans Geschichte,werde es auf jeden Fall abonnieren,weil ich Denke das dies wohl die Geschichte eines außergewöhnlichen spannenden Lebens ist und ich freue mich drauf mehr zu erfahren.
Wieder interessant zu lesen gewesen…ich denke das Viva dich sehr geprägt hat…