Leseforum und mehr
Lese hier die aktuellen interaktiven Romane als Rohmanuskripte oder stelle Fragen zum Konzept und tausche Dich aus.
LESEPROBE bzw Anfang der Biographie "WEIL WIR FLIEGEN KÖNNEN" Wöchentlich neue Rohmanuskripte
Lese & höre höre hier kostenlos den Anfang vom interaktiven SiFi-Erotikroman. Finale Version mit Fotos. Ab 18!
Barbarellas Bücher inspirieren und regen zum Nachdenken an. Hier kannst Du philosophieren, diskutieren, Dich austauschen
Lese hier wöchentlich den Roman "WEIL WIR FLIEGEN KÖNNEN" (Rohmanuskripte - Geschichte nach einer wahren Begebenheit)
Melde Dich auf meiner Webseite an und lese druckfrisch den neuesten wöchentlichen Logbookeintrag als Rohmanuskript.
Hier können Webseiten-Besucher allgemeine Fragen zum Space-Barbarella-Konzept stellen.
- Probe: Weil wir fliegen können(Dies sind die wöchentlich entstandenen Rohmanuskripte der spannenden Biografie von Susan. Die Manuskripte werden jeweils am Tag des Schreibens direkt hochgeladen. Die Autorin behält sich vor, Änderungen und Korrekturen für die finale Version vorzunehmen, welche nach 15 einzelnen Episoden im Bookshop als PDF´s und Ebooks zu kaufen sein werden - mehr Infos am Ende dieses Artikels) Weil wir fliegen können Eine Erzählung nach einer wahren Begebenheit von Barbarella C. Sinclair Es war eine kalte Winternacht 1972 - irgendwo in Europa - am Rande der Alpen: Ein Mädchen, das keiner wollte, kam als Drittgeborene eines patriarchalisch geführten Familiensystems zur Welt. Ein Mädchen mit einem starken Willen, viel Mut, großem Ehrgeiz und enormen Freiheitsdrang. Ein Mädchen, das zur Kämpferin wurde, um ihren steinigen Weg gehen zu können. Ein Mädchen, das ungewöhnliche Pläne, Ideen und Visionen hatte. Ein Mädchen, das eine starke Frau wurde, die sich treu bleibt... ...koste es, was es wolle! Aber keine Sorge: die Geschichte wird absolut nicht traurig sein. Es ist ein überaus unterhaltsamer Roadmovie mit jeder Menge Humor. Wäre Humor nicht eine weitere wichtige Charaktereigenschaft von Susan, hätte sie sich vermutlich direkt bei der Geburt an ihrer Nabelschnur aufgehängt. (Um die Anonymität der Auftraggeberin zu wahren und auch um sonst niemand zu kompromittieren, werden Namen, Orte und andere charakteristische Merkmale teilweise abgeändert. Der Rest der Story ist allerdings 100% authentisch.) Starke Einleitung Wenn man das Internet fragt, woran man eine starke Frau erkennt, erscheinen die interessantesten Auflistungen, wie z.B.: 1. Starke Frauen akzeptieren sich selbst. 2. Starke Frauen gestehen sich Fehler ein. 3. Starke Frauen sind offen und ehrlich. 4. Starke Frauen lernen von anderen Frauen. 5. Starke Frauen verwirklichen ihre Träume. 6. Starke Frauen genügen sich selbst. 7. Starke Frauen unterstützen sich gegenseitig.. Es erscheint, wie eine Zutatenliste eines Kochbuches, das suggeriert: Wer diese Zutaten hat oder versucht sie zu simulieren, wird zur starken Frau. So einfach ist das aber nicht! Manche Menschen werden einfach mit einer gewissen Stärke geboren. Sie haben Willenskraft und eine hohe emotionale und soziale Intelligenz. Selbst wenn ihnen ihre Erziehung etwas anderes lehren oder aufzwingen will, dann bleiben sie auf ihrem Weg – sie bleiben sich treu. Das gilt für Männer und für Frauen. Für Frauen ist es aber um einiges schwerer, sich treu zu bleiben, da sie noch immer einem veralteten Gesellschaftsdenken unterliegen. Wer als Frau selbstgewählt bevorzugt, als Single zu leben, keine Kinder zu bekommen und stattdessen Karriere zu machen, um ein freies Leben führen zu können, ist der Gesellschaft suspekt. Die Leute fragen z.B.: • „Warum hast du denn keinen Mann? Du siehst doch ganz gut oder gar super aus.“ • „Was stimmt denn mit dir nicht?“ • „Hast du etwas Schlimmes erlebt?“ • „Bestimmt bist du schwierig!“ Oder Menschen haben Mitleid und sagen, wie leid ihnen diese Frau tun würde und geben fragwürdige Tips: • „Ich bin so traurig, wenn ich daran denke, dass du keinen Mann hast und immer alleine bist.“ • „Wenn du nur einen Mann hättest, dann wäre alles viel leichter.“ • „Du solltest sehen, daß du einen Mann findest, bevor du in die Wechseljahre kommst.“ • „Nimm ihn doch! Er hat Geld! Dann ist dein Leben einfacher!“ Es ließen sich an dieser Stelle noch viele weitere Aufzählungen anbringen, die verdeutlichen, wie viel mehr es für einen weiblichen Menschen schwerer ist, seinen Weg zu gehen, als für einen männlichen. Dabei sollte man auch ganz global auf diese Frage blicken. Westlich orientierte Länder sind offensichtlich schon weiter entwickelt und es werden immerhin nur Fragen gestellt, wie oben aufgelistet. In den meisten anderen Ländern dieser Erde, werden solche Fragen gar nicht gestellt. Da wird einfach entschieden, wie das Leben eines Mädchens und später als Frau auszusehen hat. Würde sie sich widersetzen, droht ihr Schlimmes. Laut einer Studie des Weltbank-Instituts von 2019 garantieren bisher nur sechs Länder offiziell per Gesetz eine völlige Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau: Schweden, Belgien, Dänemark, Frankreich, Lettland und Luxemburg. Deutschland landete mit 91,88 Punkten auf dem 31. Rang, noch hinter Peru, Ungarn und Paraguay. In der Bundesrepublik bemängelte das Weltbank-Institut vor allem Ungleichheiten beim Einkommen und in der Kinderbetreuung. Die Weltbank untersucht seit zehn Jahren in fast allen Staaten der Welt die rechtliche Lage zur Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern. In ihrem ersten Bericht hatte die Bank noch keinem einzigen Land auf der Welt eine völlige Gleichberechtigung bescheinigt. Die Daten zeigten zwar einen großen Fortschritt. Doch nach wie vor verhinderten viele Gesetze, dass Frauen arbeiten oder ein Unternehmen gründen können. Es ist also offensichtlich, dass eine starke Frau nicht stark werden kann, weil es eine Zutatenliste gilt zu befolgen. Es hängt davon ab, wie ihr Charakter ist, wo sie lebt und dort diese Stärke tatsächlich entfalten kann. Aber nehmen wir an, die starke Frau hat Glück und lebt nicht in einem komplett totalitären System: Sämtlichen Hürden und Unkenrufen zum Trotz geht sie ihren Weg, denn sie ist charakterstark und eigensinnig. So, wie die Hauptdarstellerin in dieser Geschichte: Susan. Sie wurde 1972 am Rande der Alpen in einem europäischen Land geboren. Das Familiensystem war absolut patriarchalisch und die Rollenverteilung entsprach den Frauenrechten des 19. Jahrhunderts. Ich habe die spannende Aufgabe, ihre wirklich fesselnde Lebensgeschichte zu erzählen. Es ist kein Buch über Emanzipation, auch wenn das ein wichtiger Teil ihrer persönlichen Entwicklung notgedrungen war. Es ist eine Geschichte, wie es Susan trotz aller Widrigkeiten schaffte, ihre persönlichen Träume zu realisieren. Das Buch erzählt außerdem über viele aufregende Abenteuer und Begegnungen, die aufgrund ihres selbstgewählten Lebensweges entstanden sind. Es ist eine Mischung aus Drama, Abenteuer und Komödie. Ich sehe diese Biographie als ein road movie und genau so werde ich es auch nach ihren Angaben erzählen: Authentisch, spannend und spritzig. Der Roman ist interaktiv. Das heißt, ich werde jede Woche eine weitere Folge als Rohmanuskript online stellen. Dabei wird Susans Vergangenheit erzählt, bei der ich gleichermaßen die aktuelle Gegenwart in Facetten mit einbaue. Wöchentliche Interviews mit der Auftraggeberin machen diese Erzählweise möglich. Die Geschichte beginnt mit der Geburt von Susan und endet irgendwann mit ihrem Tod. Dies wird aber vermutlich noch eine ganze Weile dauern, denn sie ist eine Frau in den besten Jahren. *Dieser Roman ist nicht gegendert. Die Auftraggeberin und ich haben die Erfahrung, dass starke Frauen das nicht brauchen, um respektiert zu werden. Barbarella C. Sinclair Kapitel 1 Episode 1: "Eine beeindruckende Begegnung" Ich sitze an meinem knorrigen Schreibtisch und blicke durch das Fenster auf die dunkle Bucht, die vor mir liegt. Die Lichter des Ortes gegenüber werfen ihren Schimmer auf den See. Ich genieße zusammen mit meinem Kater die Ruhe dieses lauen Herbstabends. Meine Gedanken sind bei Susan, die ich gestern das erste Mal in einem Café auf Korsika traf und deren Biographie ich heute beginne. Sie ist wirklich eine beeindruckende Persönlichkeit. Ich erinnere mich zurück, als ich auf der Terrasse des Cafés saß und auf sie wartete, ohne zu wissen, wie sie aussieht. Ich genoss die Sonne, als plötzlich diese lässige, jugendlich wirkende, zierliche Frau durch die Tür nach draußen trat, die diesen großen löwenartigen Hund bei sich hatte. Ihre wilden blonden Haare strahlten mit der Mähne des gemütlich trottenden rotblonden Hundes um die Wette. Ich dachte: Wow, das ist ja mal ein echtes dream team und ich wünschte mir, dass das hoffentlich Susan sein möge. Wir hatten, ganz in Agentenmanier, ein geheimes Erkennungszeichen vereinbart, weil wir es beidseitig zu profan fanden, uns per Handy anzurufen, damit wir uns erkennen. Ich schob also meinen Kugelschreiber hinter mein Ohr, damit sie mich erkannte. Die Frau sah es und kam auf mich lächelnd zu. Sie trug eine Jeans, ein Shirt und einen Jeansmantel. Dazu poppige Westernboots. Wenn ich nicht schon gewußt hätte, wie alt sie ist, hätte ich sie auf Mitte oder Ende 30 geschätzt. Unfassbar, dass diese positiv und unbeschwert wirkende Frau schon so viel mehr erlebt hat, als man ihr ansieht, dachte ich bei mir. Anhand der Vorkorrespondenz konnte ich mir davon bereits ein gutes Bild machen. Ich war aber nun gespannt, wie die Geschichte im Detail ist: „Hi, ich bin Susan und das ist mein Lebensgefährte Simba.“, begrüßte sie mich lachend, als sie vor meinem Tisch angekommen war. Ich stand auf, reichte ihr meine Hand und konnte es nicht lassen, danach diese freundliche, fluffige Fellnase neben ihr zu streicheln. „Was für ein lieber und wunderschöner Hund!“, sagte ich zu ihr, während wir uns setzten. „Ja,“ erwiderte Susan. „Er ist ein wirklich tolles Tier. Sehr eigensinnig, aber total lieb. Er war ein geschlagener Kettenhund und hatte eine sehr harte Jugend. Als man ihn nicht mehr wollte, haben sie ihn einfach auf der Autobahn aus dem Auto geworfen. Leute sahen ihn dort mehrere Tage völlig abgemagert herumlaufen, bis er schließlich von einem Auto erfasst wurde und er sich dadurch ein Hinterbein brach. Danach hatte er sich mit letzter Kraft in ein Dorf geschleppt, wo ihn die Polizei zusammengebrochen am Straßenrand fand und ihn schließlich ins Tierheim brachte.“ Ich war sehr traurig, das zu hören, denn auch ich liebe Tiere. „Das ist ja schrecklich!“, entgegnete ich und wollte weiter wissen, ob sie ihn aus dem Tierheim direkt adoptiert hat. Sie nickte und fügte an: „Ja, ich habe ausschließlich Tiere aus dem Tierschutz. Für mich muss kein Lebewesen produziert werden. Es gibt genug Elend auf der Welt. Ich nehme die, die keiner haben will und am liebsten nehme ich die Kämpfer.“ Ich sah sie an und stellte fest: „Sie mögen also ihresgleichen? Die, die keiner will; die, die nicht aufhören zu kämpfen; die, die eigensinnig sind?“ Susan grinste verschmitzt: „Ja, da kann was dran sein. Ich kann mich mit diesen Geschöpfen am besten identifizieren und ich liebe es, wenn ich sehe, dass sie so ein viel besseres Leben doch noch bekommen haben.“ Ich nickte und winkte dem Kellner herbei, der sogleich noch einen Kaffee servierte. Als er wieder weg war, sagte ich: „Sie sind wirklich eine starke Frau, nach dem, was sie mir schon in ihren Emails zuvor berichtet haben, bin ich bereits sehr fasziniert. Wie ich ihnen schon sagte, würde ich sonst keine Biographie für jemanden schreiben.“ „Ja, das weiß ich und ich freue mich sehr, dass sie nun trotzdem eine Ausnahme machen. Ich habe selbst schon ein paar Mal versucht, meine Lebensgeschichte zu schreiben, weil mir immer wieder Freunde oder sogar meine Anwälte rieten, ich solle das mal machen. Sie meinten, dass das, was ich immer so erlebe, wirklich jedesmal filmreif ist. Aber irgendwie kam ich damit nicht weiter. Dreimal habe ich damit schon begonnen, aber ich wurde in diesen Biographien nie älter als 20 Jahre alt.“ lachte sie auf. Ich musste mitlachen und versicherte ihr, dass es nun gelingen würde, sie älter werden zu lassen. „Sagen sie“, wollte ich weiter wissen, „möchten sie die Biographie schreiben, weil sie mit jemand abrechnen möchten?“ Sie schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, keinesfalls. Sicher gab es in meinem Leben einige schlimme Situationen, da wünschte ich mir manchmal ein wenig, dass die Gerechtigkeit das Böse hoffentlich bestrafen möge. Aber ich bin kein vergeltender Mensch, denn ich weiß, das würde mich nur auf die selbe niedrige Stufe meiner Widersacher stellen. Da will ich aber nicht hin. Ich will meine Geschichte erzählen, weil sie besonders ist. Sie kann anderen Menschen und vor allem Frauen Mut machen und sie kann unterhalten. Oh ja, sie kann unterhalten!“ wiederholt sie mit stärkerer Betonung und fügt nach einer kleinen Pause zwinkernd an: „Ich habe wirklich mit niemandem eine Rechnung zu begleichen. Das Schicksal rechnet ohnehin mit allen Menschen ab.“ Ich nickte beruhigt, da es meiner Denkweise entsprach und so einigten wir uns, dass einige Orte, Namen und andere charakteristische Merkmale ihrer Geschichte teilweise verändert werden. „Dann will ich mal die Aufnahme starten, damit sie mir den Anfang ihres Lebens erzählen können.“,sagte ich, während ich das Handy vor ihr auf den Tisch legte. „Wenn sie bereit sind, fangen sie einfach an zu erzählen. Ok?“ Sie nickte und ich drückte auf den Startknopf. An meinem Tee nippend, blicke ich weiter auf den See und drücke abermals den Startknopf ihrer Audioaufnahme. Ich will in Ruhe nochmal hören, was sie mir gestern erzählte und zeitgleich werde ich versuchen, ihre Geschichte direkt aufzuschreiben: … Es war im Sommer 1971, als Frieda durch das beschauliche Örtchen am Alpenrand lief, um für sich nach einer kleinen günstigen Wohnung zu suchen. Sie war wie immer akkurat gekleidet und auch die graumelierten kurzen Haare saßen natürlich wieder wie frisch vom Friseur kommend. Frieda Michl, 1912 in Breslau geboren, im Krieg aus Schlesien geflüchtet und nun auf der Suche nach einer neuen Wohnung am Alpenrand. Von weitem sah sie diesen starken Mann, der mit nacktem Oberkörper an seinem frisch gebauten Haus im Vorgarten arbeitete. Den wollte sie fragen, denn wer nichts wagt, der kann auch nichts gewinnen, dachte sie sich beherzt. Zielstrebig ging sie auf ihn zu und fragte ihn, ob das sein schönes Haus wäre, an dem er da baut. Der muskulöse, in seine Arbeit vertiefte, Mittdreissiger sah auf und fühlte sich wahrlich geschmeichelt, denn das Haus hat er mit viel Eigenleistung selbst gebaut. „Ja, das ist mein Haus.“, entgegnete er voller Stolz. „Sagen sie,“ wollte sie wissen. „Haben sie vielleicht eine kleine Wohnung für mich frei? Ich bin ruhig, ordentlich und alleinstehend. Ich brauche nicht viel, aber ich mag es sauber und geordnet. Momentan arbeite ich noch als Hausdame bei einer Gräfin, bei der ich in einer kleinen Einliegerwohnung lebe. Ich möchte mich aber für meine Rente vorbereiten und bin daher auf Wohnungssuche. Ihr Haus gefällt mir sehr.“ Der junge Mann konnte Geld gut gebrauchen, war er doch noch immer einer der schlechter bezahlten Polizisten im Ort, da er sich erst hocharbeiten musste, nach seiner Zeit bei der Armee. Aber leider hatte er außer einem kleinen Keller Souterrain nichts, was er anbieten konnte. Er brauchte Platz für seine Frau und seine zwei Kinder. Eine andere Wohnung im Haus war bereits an einen alleinstehenden älteren Herren vermietet. Nachdem Frieda nicht locker ließ, es sehen zu dürfen, zeigte er es ihr. Sie war begeistert, denn die Wohnung hatte alles, was sie brauchte: eine kleine Küche, ein Schlaf-Wohnzimmer, ein kleines Bad, das zwar nicht optimal, aber zweckmäßig war. Aber vor allem hatte sie Zugang zum Garten, den Frieda mit nutzen durfte. Bei der Gelegenheit lernte sie auch seine Ehefrau kennen. Eine dunkelhaarige, sehr temperamentvolle, aber äußerst sympathische junge Frau. Man wurde sich einig und so kam es, dass Frieda - meine Viva - in unser Haus einzog, 6 Monate bevor ich geboren wurde… Episode 2: "Der harte Edwin und der geschlagene John" Während ich die Aufnahme von Susan anhöre, fällt mir wieder auf, wie klar und visuell sie mir ihren Lebensweg erzählen kann. Es ist für mich somit glücklicherweise einfach, die Geschichte, nach ihren Worten, in geschriebenen Zeilen zu verpacken. Ihre Ausdrucksweise ist sehr gewählt und manchmal auch ungewöhnlich, was auf einen höheren Bildungsgrad schließen lässt. Ich höre weiter Susans Erzählung zu und bringe es parallel zu Papier: …Viva war sehr dankbar, so viel Glück gehabt zu haben. Sie fühlte sich sofort in dem Haus des ehrgeizigen und überkorrekten Polizisten Edwin mit seiner fleißigen Frau Hilma wohl. Sie müssen wissen“, ergänzt Susan, „meine Mutter Hilma war eine sehr freundliche und gewinnende Frau. Sie konnte gut mit fremden Menschen Kontakt aufnehmen. Sie wusste auch genau, wie sie Menschen für sich gewinnen konnte. Vermutlich nicht ganz ohne Hintergedanken, hat sie meine Viva, in gewisser Weise, schnell in unsere Familie involviert. Beispielsweise brachte sie ihr manchmal Essen nach unten und auch sonst baute sie einen gut funktionierenden Sozialkontakt zu Viva auf, indem sie gelegentlich mit ihr zusammen Kaffee trank. Mein Vater Edwin hingegen war kein Mann der großen Worte. Er war sehr introvertiert und hatte eine starke dominante Ausstrahlung. Sobald er einen Raum betrat, waren die Menschen schon ruhig, nur weil er anwesend war. Er war außerdem sehr strebsam und ehrgeizig, damit er im Beruf nach vorne kam. Dafür machte er aus eigenen Stücken ein Leben lang Schichtdienst und meldete sich freiwillig zu Aufgaben, die sonst keiner ausführen wollte: wie zum Beispiel die Teilnahme an Obduktionen. Das brachte alles zusätzliches Geld und Aussicht auf Beförderung ein. Seine Freizeit nutzte er für unzählige Handwerksarbeiten an seinem Haus. Er war darin sehr geschickt. Außerdem konnte er auch sehr gut zeichnen und so hatte er seinen Bauplan selbst entworfen. Das musste auch alles sein, denn die Beiden hatten sehr wenig Geld und bereits schwere Lebensgeschichten zu bewältigen: Mein Vater stammte ursprünglich aus einem alteingesessenen Bäckereibetrieb. Er hatte noch einen jüngeren Bruder und eine ältere Schwester, da er aber der älteste Sohn war, sollte er einmal die Bäckerei übernehmen. Allerdings war sein Vater - also mein Opa - ein schrecklicher Mensch, der nicht nur seine krebskranke Frau brutal schlug, als sie schon im fortgeschrittenen Stadium ihres Brustkrebses war, sondern er verging sich auch an seinem Sohn sexuell - also an meinem Vater -, als dieser noch ein Kind war. Meine Oma starb, als mein Vater 13 Jahre alt war, und danach ging der Horror für ihn erst richtig los. Ich nehme an, dass das, was er erlebte, ihn zu dem gemacht hat, was er später wurde: hart, verschlossen und kämpfend. Er begann mit 15 Jahren Boxunterricht zu nehmen. Vermutlich, damit er sich bald gegen seinen Vater wehren könnte. Als er 18 Jahre alt war, war er wieder mal zusammen mit seinem Vater in der Backstube, als dieser ihn abermals sexuell berührte. Das war sein Fehler, denn Edwin war kein kleiner Junge mehr. Er war nämlich mittlerweile ein erfolgreicher Boxer und Judokämpfer. Edwin hatte in dieser Nacht seinen Vater in der Backstube so verdroschen, dass dieser nur so durch die Bäckerei flog. Danach hat er seine Sachen gepackt und ist abgehauen. Er wollte nur weg und ging zum Militär an die östlichen Landesgrenzen, die zu dieser Zeit noch stark bewacht wurden. Daraufhin wurde er von seinem Vater enterbt. Außer einer kleinen Geldsumme - seinem Pflichtteil - bekam er nichts. Die Bäckerei und alle vorhandenen Immobilien gingen an seine Geschwister über. Während seiner Dienstzeit lernte er meine Mutter Hilma in dem Ort kennen, in dem er stationiert war. Edwin und Hilma waren Kinder des Krieges. Geboren 1938 und 1939. Hilma kam aus einer bescheidenen Arbeiterfamilie, wobei ihr Vater ein aufbrausender Mann war. Allerdings kam ihre sehr ruhige Mutter ursprünglich aus einem großen Steinbruch, der aber leider an deren Bruder überging, welcher ihn beim Glücksspiel verspielt hatte. Hilma war zu Hause genauso unglücklich wie Edwin. Sie wurde schnell mit meinem Bruder John schwanger und so heirateten Edwin und Hilma. 3 Jahre später kam meine Schwester Ingrid zur Welt. Mein Vater wollte noch so viel erreichen und so beschlossen sie zusammen weit weg zu gehen und ein neues Leben aufzubauen: nämlich irgendwo am Rande der Alpen. Edwin konnte wählen, ob er zur Bank geht oder zur Polizei. Er hatte für beides die Zusagen bereits. Da meine Mutter aber ein sehr sicherheitsbedürftiger Mensch war, ging er ihr zuliebe zur Polizei. Da waren sie also nun: Irgendwo am schönen Alpenrand, ihren Träumen vom freien und wohlhabenden Leben folgend. Die beiden Kinder, John und Ingrid, waren mittlerweile 11 und 8 Jahre alt, als sie das Haus beziehen konnten. Mein Bruder John war ein sehr ruhiger, schüchterner und eher ängstlicher, zart gebauter Junge. Meine Schwester Ingrid war das glatte Gegenteil: draufgängerisch, besitzergreifend und bestimmend. Meine Mutter und auch John erzählten mir später, dass Ingrid immer ihren Bruder zum Unsinn anstiftete, wenn sie dann aber erwischt wurden, hat unser Vater nur John verprügelt - und das nicht zu knapp.“ Ich erinnere mich an gestern: An diesem Punkt hatte ich im Café um Pause gebeten. Das musste ich erstmal alles verkraften. So stoppte ich die Aufnahme und sah Susan traurig an. Ich fragte: „Moment, ihr Vater war ein missbrauchtes und vermutlich auch geschlagenes Kind und er hat später wiederum ihren Bruder verprügelt? Hat er noch jemanden geschlagen oder gar auch missbraucht?“ Susan antwortete ganz gefasst: „Ja, mein Vater konnte sehr brutal sein. Er war wie ein schlafender Vulkan - wehe, wenn er ausbrach. Dass er meinen Bruder immer zum Sündenbock machte, hatte wohl den Grund, dass dieser irgendwie seinem Opa - also Edwins Vater - ähnlich sah. Zumindest ist mir das auf Fotos mal aufgefallen. Es war aber auch so, dass mein Vater, meine Mutter und später auch mich mal schlug. Ich glaube, die Einzige, die nie von ihm geschlagen wurde, war Ingrid. Sie war irgendwie immer sein Liebling, auch wenn sie später glaubte, ich hätte ihr den Rang abgelaufen, was aber Blödsinn war, denn für mich stellte unser Vater meinen größten Feind dar. Ich muss aber sagen, er hat nie sexuellen Mißbrauch betrieben, so wie sein eigener Vater an ihm. Dieses Gefühl davon gab es nicht mal. Solche Verbrecher hasste er. Er war einfach nur extrem dominant, herrschend, kontrollierend, geizig und bestimmend. Wer nicht machte, was er sagte, hatte ein Problem.“ Ich war erleichtert, dass Susan wenigstens kein körperliches Missbrauchsopfer war, aber dennoch war ich sehr bedrückt über all diese Vorkommnisse. Sie sah es mir wohl an und sagte: „Sie müssen nicht bedrückt sein. Es ist Vergangenheit und mittlerweile weiss ich, dass es mehr Dramen um uns herum gibt, als wir oft ahnen. Sehen sie sich auf der Terrasse um." Ich blickte um mich und sah, dass mittlerweile einige Leute zum Nachmittagskaffee eingetroffen waren. Susan deutete auf einen Tisch in der Ecke. „Schauen sie, dieses freundlich wirkende ältere Paar da hinten. Es sieht so herrlich normal aus. Ich wette, da gibt es Geschichten, hinter diversen Vorhängen, die uns beide geschockt sein ließen. Aus meiner Sicht ist Alkohol ein Thema bei den Beiden. Das sehe ich schon äußerlich. Oder da drüben, die junge Familie mit den beiden Kindern. Sehen sie, wie die beiden Eltern gestresst sind und meinem Eindruck zur Folge nur alles aufrechterhalten, weil sie den Schein für die Kinder und für die Gesellschaft wahren wollen.“ Ich sah hin und bemerkte, dass Susan wohl recht hat. „Sie haben eine sehr gute Beobachtungsgabe.“, sagte ich zu ihr anerkennend. Sie grinste schelmisch, tätschelte ihren Simba liebevoll und erwiderte: „Naja, man erbt ja so verschiedenes von seinen Eltern. Ich hatte lange gedacht, ich habe von denen nichts geerbt und wenn, dann nichts Gutes. Aber ich muss sagen, die gute Beobachtungsgabe zum Beispiel, die habe ich wohl von beiden geerbt. Mein Vater brauchte es beruflich und meine Mutter hätte sein Spürhund sein können.“ Ich musste über ihre trockene und witzige Art lachen. Es ist irgendwie erfrischend, wie sie über so ein dramatisches Thema, das sie selbst betraf, so humorvoll dennoch reden kann. Ich glaube, sie war froh, dass ich auf ihren gechillten Vibe aufsprang. Sie wollte wirklich kein Drama schreiben, aber ich sehe, das ist eben die Geschichte. Es ist IHRE Geschichte! „War ihre Mutter also das Opfer ihres Vaters?“, wollte ich weiter wissen. Sie lächelte und sagte: „Hätten sie mich das gefragt, bevor ich 35 Jahre alt war, hätte ich es bejaht. Allerdings bin ich mit 35 Jahren nach Tibet gegangen und habe dort einige Jahre stark nachgedacht. Dabei ist mir aufgefallen, dass manche Menschen gerne Opfer sein wollen…“ Ich war verblüfft: „In Tibet waren sie später? Oh meine Güte, ich kann gar nicht erwarten, bis sie in ihrer Erzählung an diesen Punkt kommen.“ Susan rührte in ihrem Kaffee grinsend und antwortete: „Geduld, meine Liebe, Geduld! Das ist etwas, das ich auch erst lernen musste.“ Ich lachte und lehnte mich zurück: „Na gut, eins zu null für sie. Aber sie wissen sicher, dass man als Zuhörer kaum erwarten kann, mehr von ihnen zu erfahren. Das ist ja alles super spannend und das obwohl ich vermutlich gerade mal nur ein Prozent von allem weiss.“ Sie schaut mich lächelnd an und sagt: „Eben, das ist mir bewusst und genau deswegen schreiben wir jetzt das Buch zusammen! Wollen sie, dass ich weiter erzähle?“ „Unbedingt!“, antwortete ich hastig und drückte wieder auf den Aufnahmeknopf. „Bitte, fahren sie fort, ich brenne vor Neugier!" Episode 3: "Das ungewollte Kind" Gedanklich bin ich jetzt wieder in meinem Arbeitszimmer und schreibe nach Susans Erzählung ihre Lebensgeschichte weiter: Die stets freundliche und respektvolle Frieda (Viva) hat sich schnell in den streng geordneten Polizistenhaushalt eingefügt. Sie war wirklich genau nach Edwins Geschmack: äußerst ruhig, sauber, ordentlich und hilfsbereit. Sie war der disziplinierteste Mensch, den man sich vorstellen kann: Jeden Morgen um 6 Uhr stand sie auf. Sie hatte ihr striktes Tagesprogramm, wobei sie jeden Morgen und Abend das Gleiche zu sich nahm: Zwei Scheiben Knäckebrot, etwas Margarine, Marmelade, Käse und Tee. Danach hat sie sich stets sportlich elegant gekleidet, ging ins Bad, um sich die Haare akkurat zu frisieren. Dazu legte sie immer ein Tuch um die Schultern, damit keinesfalls ein Haar auf der Kleidung landete. Dann machte sie ihr Bett mit akribischer Genauigkeit und putzte ein wenig durch die Wohnung, bevor sie nach draußen ging, um spazieren zu gehen oder um ihre Einkäufe zu erledigen. Da Hilma mit dem großen Haus und den Kindern sehr beschäftigt war, hat Frieda die junge Familie entlastet, indem sie für diese auch immer mal kleinere Besorgungen erledigte, wenn sie ohnehin unterwegs sein wollte. So entstand eine respektvolle, alle Etiketten wahrende und gut funktionierende Symbiose zwischen der Familie und der älteren Dame. Bei einem Nachmittagskaffee, den Hilma und Frieda zusammen abhielten, berichtete Hilma, dass sie noch einmal schwanger ist und im neuen Jahr ein weiteres Kind erwartete. Frieda war nur verhalten begeistert und sagte: „Oh, wie schön, aber bitte, das Kind darf nicht zu mir. Kinder fassen alles an, machen Dreck und Unordnung.“ Hilma versprach ihr das und fügte an: „Ich finde es auch ganz schrecklich, nochmal schwanger zu sein. Ich wollte doch kein Kind mehr - in diesem Alter! Jetzt, da die anderen beiden schon aus dem Gröbsten raus sind, kommt nochmal eines. Das ist so schrecklich! Ich sage ihnen, sollte ich das Kind irgendwo verlieren, dann lasse ich es liegen!“ Frieda konnte zwar nachvollziehen, dass Hilma kein weiteres Kind wollte, aber diese Worte fand sie dann doch zu hart und so beruhigte sie die junge Frau: „Ich bin ja auch noch da und kann etwas mehr für sie einkaufen gehen, wenn sie wollen.“ Hilma nickte und sagte: „Ja, gerne. Mein Mann sieht ein weiteres Kind nicht so eng. Da er so ein rechnender beziehungsweise geiziger Mensch ist, sieht er darin den Vorteil von mehr Kindergeld, was die Familie finanziell entlasten wird. Wissen sie“, fügte Hilma an: „Natürlich müssen wir sparen, aber er teilt mir das Geld ganz knapp ein. Ich habe fast kein Haushaltsgeld und muss sehen, wie ich mit der lächerlichen Summe, die er mir gibt, 4 und bald schon 5 Personen verköstigen und einkleiden kann. Dabei will er beim Essen aber auf nichts verzichten. Das ist alles sehr belastend für mich und jetzt noch ein Kind, das ich überhaupt nicht will!“ Mit diesen Worten schälte sie sich zitternd eine weitere Orange, was seit ihrer Schwangerschaft zu ihrer ungewöhnlichen Heisshungerattacke wurde und sah während des Essens betreten in die Ferne. In einer kalten Februarnacht 1972 um 4:20 morgens war es dann soweit: Hilma lag im Gemeindekrankenhaus und hatte schreckliche Schmerzen, als das Kind kommen wollte. Vielleicht war es eine Art Strafe für Hilmas Worte, denn an dieser Geburt wäre sie fast gestorben. Das Kind, die kleine Susan, war scheinbar schon gleich zu Lebensbeginn neugierig auf die Welt und so ist sie mit dem Gesicht voran erschienen. Die Schmerzen für Hilma waren unermesslich und das Ärzteteam war in Aufregung um Mutter und Kind. Endlich! Nach einiger Zeit des Bangens für Edwin, der im Krankenhausflur wartete, war es geschafft. Der Arzt verkündete ihm die frohe Botschaft, dass beide wohlauf sind, wenngleich seine Frau noch einige Zeit viel Ruhe brauchen würde. Edwin ging zu Hilma und dem Mädchen und entschied, dass es Susan heißen soll. Danach ging er müde, aber zufrieden nach Hause, denn das Kind war gesund. An den kommenden Tagen nahm er John und Ingrid mit, um die beiden zu besuchen. Dabei begegnete ihm ein Kollege, der ebenfalls Vater geworden war und Edwin ohnehin nicht wohlgesinnt war. Dieser Kollege sah das Neugeborene an, das Edwin stolz auf dem Arm trug, als er mit seiner Familie auf dem Krankenhausflur stand. Er sagte beim Blick auf das Baby neidvoll zu Edwin: „Typisch, Edwin Bastoy hat wieder mal das Schönste!“ Dann ging er weiter und lies das Paar verblüfft stehen. Wer weiß, vielleicht war das der Samen, der später dafür sorgte, dass Edwin dieses Mädchen bewachte, wie eine Gefangene und auch Ingrid so von Neid zerfressen sein ließ, dass sie ihr Leben lang damit beschäftigt war, Susan auszuschalten und loszuwerden. Nach einigen Tagen war es dann so weit: Hilma und Susan durften nach Hause. Sie zeigte das Baby der schon wartenden Frieda. Zu Hilmas Verblüffung war sie sofort total verliebt, in das kleine putzige Kind, wie sie es wörtlich nannte. Friedas Vorsätze, dass das Kind nicht zu nahe kommen dürfte, sind wohl mit dieser ersten Begegnung gefallen. Auch wenn Hilma noch geschont hätte werden müssen, musste sie sofort im Haushalt wieder alles in Ordnung bringen, was dort seit der Entbindung angefallen war. Da Edwin sexuell ausgehungert war und auf seine regelmäßigen „Rationen“ bestand, musste Hilma auch dafür wieder gleich verfügbar sein, was ihr große Schmerzen bereitete. Der Alltag der Bastoys nahm also seinen gewohnten Lauf wieder an, indem gemacht wurde, was Edwin sagte. Ich erinnere mich, als Susan bei diesem Punkt ihrer Erzählung angekommen war, stoppte ich wieder die Aufnahme, als wir auf der Terrasse saßen und fragte neugierig: „Susan, woher wissen sie das alles so genau, was sie mir hier erzählen? Sie waren doch noch nicht mal geboren beziehungsweise noch ein Baby, als das alles passierte.“ Susan lehnte sich nach vorne und antwortete: „Weil mir das alles meine Mutter später haarklein erzählt hat. Wissen sie, bereits in meinen frühen Kindheitsjahren hat sie mich ohnehin ständig spüren lassen, dass sie mich nicht wollte. Wie ich schon sagte, hat sie gerne ihren aufgestauten Frust an mir ausgelassen und mich dann ständig bestraft oder geschlagen. Ich weiß noch, einmal hat sie mich übers Knie gelegt und mit dem Kochlöffel so versohlt, dass ich vor Schmerzen nur so geschrien habe. Abends, als die Familie zusammen beim Essen saß und ich immer noch weinte, haben alle nur gelacht. Vor allem Ingrid genoss es.“ „Wie waren sie denn als Kind? Wie würden sie sich beschreiben, Susan?“, wollte ich wissen. „Ich war ein beobachtendes und ruhiges Kind.“, antwortete Susan nachdenklich. „Ich denke, ich habe schon früh gespürt, dass ich in einer gefährlichen Umgebung aufwachse. Um mich herum waren nur Erwachsene, die mich alle nicht wirklich wollten. Denn meine Geschwister sah ich auch als Erwachsene. Das hat mich sehr vorsichtig gemacht. Meine Taktik war daher, lieber nichts zu sagen und möglichst alles richtig zu machen, denn ein Kind versucht immer alles, um von seiner Familie und vor allem von der Mutter geliebt zu werden. Gerne habe ich mich mit mir selbst beschäftigt, indem ich ruhig vor mich hin spielte oder malte. Also ich würde sagen, es gab keinen Grund, mich so zu schlagen. Aber wie ich schon sagte, sie ließ den Frust an mir aus, den sie in sich trug, weil mein Vater sie so unterdrückt hat.“ Ich nickte und sagte: „Ja, ich verstehe. Das war sicherlich so. Sie waren die Kleine und somit der passende Punchball für ihre Mutter.“ Welche Rolle spielte dann ihre Viva dabei? Sie sagten ja anfangs, dass das ihre Viva war. Susan lächelte und antwortete sichtlich glücklich: „Sie war mein Engel! Wirklich! Wäre diese Frau bei uns nicht eingezogen, ich denke, ich wäre heute ein komplett anderer Mensch. Sie hat mich aufgefangen und beruhigt und außerdem hat sie mich schon früh zu ihren täglichen Spazierrunden mitgenommen. Auf diesem Wege, kam ich von zu Hause raus und so hat sie mir vieles gezeigt und gelernt, was ich sonst nicht erfahren hätte. Schon mit 4 Jahren bin ich mit ihr große Runden durch die Natur gelaufen. Dabei konnte ich sie wirklich alles fragen. Alles!“, wiederholte Susan begeistert und fuhr fort: „Ich lernte auch sehr früh fließend zu sprechen. Ich denke, das habe ich ihr zu verdanken, da sie eben viel mit mir redete. Ich weiß noch gut, dass mich zum Beispiel dieser tote Mann, der da überall am Wegrand hing, sehr beschäftigte.“, erzählte Susan weiter. „Ich wollte wissen, warum der arme Mann da überall rumhängen würde. Viva erklärte mir, dass das Jesus ist, der Sohn Gottes und der hängt am Kreuz als Warnung für die Menschen. Das hatte mich so interessiert, dass ich dann den ganzen Weg über mit ihr darüber sprach. Ich wollte alles wissen: wer ist denn Gott, wer ist Jesus, warum soll der mahnen und warum überhaupt machen Menschen so schlimme Dinge und so weiter. Viva war selbst nicht gläubig, aber sie hat mir wirklich alles ganz genau erklärt, völlig neutral und eher wissenschaftlich. Ich liebte es, denn wir haben stundenlang philosophiert über jedes Thema, das ich gerne wissen wollte.“ „Das ist toll und ich freue mich so sehr, dass sie so einen Engel dann doch im jungen Leben hatten.“, sagte ich erleichtert, als ich das hörte. Susan zog sich die Jacke etwas mehr zu, da es kühler wurde und nickte zustimmend: „Ja, Viva war wirklich das größte Geschenk meines Lebens. Ich habe sie unglaublich geliebt!“ „Erzählen sie mir bitte mehr von Viva und ihnen.“, bat ich. Susan strahlte dabei und sagte: „Gerne doch! Wie gesagt, ich bin mit ihr stundenlang täglich unterwegs gewesen. Das waren jeden Tag mehrere Kilometer, die wir zusammen abgewandert sind. Wenn es weniger schönes Wetter gab, sind wir dennoch raus und in den Ort gegangen, um zusammen Eis zu essen oder in den Spielzeugladen zu gehen, an dessen Schaufenster ich mir immer die Nase wegen der Matchbox-Autos platt drückte. Sie hatte wirklich nicht viel Geld, aber sie hat mir dennoch ab und zu ein Auto gekauft oder später Barbies.“ Susan grinste mit diesen Worten wirklich glücklich vor sich hin und ich bemerkte, dass sie dabei ein wirklich süßes Grübchen auf einer Seite der Wange hat. Sie erzählte weiter: „Was habe ich das geliebt, denn meine Eltern hätten mir weder eine Kugel Eis noch Spielzeug gekauft. Sie mussten ja für ihr Haus und für das Auto sparen, das Edwin wollte. Daher gaben sie mir immer die Puppen, mit denen Ingrid früher spielte, aber ich konnte damit gar nichts anfangen. Ich habe nicht verstanden, was ich mit Babypuppen tun könnte. Ich weiß, ich habe mal einen gebrauchten Kinderwagen von ihnen hingestellt bekommen. Darin lag eine Babypuppe. Sie sagten, ich soll das mal schieben, denn Mädchen machen das. Ich habe das genau einmal getan: kurz durch den Garten und wieder zurück. Ich sah keinen Sinn darin und ließ ihn stehen. Da war ich ungefähr 4 Jahre alt. Ab da war für alle klar: Das Kindchen, so wie mich Viva immer nannte, wollte lieber Spielzeug für Jungs. So durfte ich die alten Spielzeugautos und Legos von John übernehmen und als Krönung kaufte mir Viva manchmal noch neue Autos dazu. Das hat mich immer unglaublich glücklich gemacht! Mit diesen Autos habe ich dann stundenlang in meinem Zimmer oder bei Viva auf dem Teppich gespielt. Oft haben wir auch Bekannte von ihr besucht, die in ihrem Alter waren. Dabei hatte ich meist 2-3 Autos dabei. Damit habe ich ruhig gespielt und auch zugehört, während die Erwachsenen sich unterhielten oder Viva legte mir Papier und Stifte hin und ich malte stundenlang. Manche ihrer Bekannten hatten große Wildgärten, worin auch Katzen oder Schafe unterwegs waren und so bin ich auch liebend gerne in deren Gärten rumgerannt, um die Natur zu entdecken und mich mit Tieren anzufreunden. Das war etwas, das man bei uns zu Hause nämlich auch nicht einfach so durfte, denn mein Vater hatte ja Schichtdienst und musste oft tagsüber schlafen. Dabei musste man absolut leise sein, da er sonst ausgerastet wäre.“ „Susan, ich habe noch so viele Fragen zu dieser wichtigen und prägenden Lebensphase, aber leider muss ich gleich zum Flughafen, wie sie wissen.“ unterbrach ich sie gefühlvoll. „Können wir die Fortsetzung davon in den kommenden Tagen per Video Call machen? Sie wissen ja, das Treffen heute sollte zu unserem ersten Kennenlernen dienen. Ich bin wirklich mehr als gespannt, wie es weitergeht und würde sie gerne demnächst anrufen.“ Susan nickte verständnisvoll: „Ja natürlich, das wusste ich ja. Sie müssen los. Auch Simba will jetzt sicher noch ein wenig laufen und danach gehen wir nach Hause, um seinen Hunger und den der Miezen zu stillen.“ lachte sie. „Ach, Katzen haben sie auch?“, fragte ich begeistert und fügte an: „Na, ich bin gespannt, was deren Lebensgeschichten sind. Ich kann mir mittlerweile nicht mehr vorstellen, dass irgendetwas oder irgendjemand einfach nur so - völlig ereignislos - in ihr Leben kam. Ich glaube, sie sind jemand, der eine besondere Aura hat und vermutlich verhält sich das mit ihren Tieren genauso.“, bemerkte ich, während ich ihren ausdrucksstarken Hund nochmal streichelte. Sie stand auf, lächelte mich freundlich an, hielt mir zum Abschied ihre Hand hin und sagte: „Also langweilig wird ihnen mit meinen Geschichten sicher nicht werden. Keine Sorge. Ich wünsche ihnen einen guten Flug und freue mich auf ihren Anruf. Ich bin gespannt, was sie bis hierhin schon schreiben werden. Mein Gefühl ist aber sehr gut dabei. Ich mag sie und das ist nicht selbstverständlich!“, ergänzte sie nun richtig lachend. Wir verabschiedeten uns und ich flog zurück nach Hause, wobei mir der Gedanke kam, dass mir Susan, trotz alledem, so herrlich schwerelos erschien. Ich denke, das Buch sollte „Weil wir fliegen können“ heißen und ich wünschte mir, dass ich noch eine lange Begleiterin ihrer abenteuerlichen Lebensreise sein kann. Nun ist es schon spät und ich sitze bereits seit einigen Stunden an meinem Schreibtisch. Ich bin zufrieden über den Fortlauf der Geschichte und denke, ich habe mit dem Mix aus Vergangenheit und Gegenwart eine gute Variante getroffen, diese doch erstmal dramatisch anfangende Lebensgeschichte schonend aufzubrechen und zu erzählen. Zufrieden, dass ich die ersten Seiten bereits geschrieben habe, klappe ich den Laptop zu. Ich freue mich, wenn ich Susan bald wieder höre. Nun ist aber wirklich Schlafenszeit für mich und meinen Kater Gonzo. Episode 4: "Die Kindergartenverweigerin" Endlich ist es soweit, heute ist der neue Termin mit Susan. Wir werden künftig viele Video Calls abhalten, da die räumliche Distanz zu groß ist, als dass wir uns für jede Fortsetzung der Biografie persönlich treffen könnten. Aber hey….dafür leben wir in 2022. Ich bin sehr glücklich, dass es diese Art von Kommunikation gibt. So setze ich mich vor den Rechner und sende Susan die Einladung für unsere Videokonferenz. Sofort nimmt sie diese an und ich sehe, wie sie strahlend auf ihrer sonnigen Terrasse am Meer sitzt. „Na das nenne ich mal einen blendenden Auftritt, Susan! Wie geht es ihnen?“, will ich begeistert wissen. Sie nickt zufrieden und sagt: „Alles gut hier, danke! Allerdings gab es ein paar Turbulenzen und so ist es gut, dass wir etwas mehr Zeit verstreichen ließen, bis zum nächsten Termin.“ Ich bin natürlich neugierig und will wissen, was los war. Susan erwidert: „Ach…wo soll ich anfangen? Mein Leben ist eine einzige Achterbahn und die letzten Wochen waren wieder sehr hart, denn mein alter Simba hatte einige schwere Operationen. Ihm wurden zwei Geschwüre entfernt, wobei einer davon ein bösartiger Tumor war. Außerdem hatte er eine zweite OP, wobei ihm die Luftröhre geweitet wurde, da er aufgrund einer Kehlkopflähmung nur noch schlecht Luft bekam. Das war alles sehr anstrengend und belastend für uns beide und ich war in großer Sorge, ob er es überleben würde. Hinzu kommt, dass ich gerade eine neue Firma gründe, sehr wenige finanzielle Mittel dafür zur Verfügung habe und mir diese Eingriffe obendrein gar nicht leisten konnte.” „Uff!“, entfährt es mir mitfühlend. „Das ist ja wirklich sehr hart und belastend! Waren denn die Operationen erfolgreich und wie haben sie das finanziell gelöst?“ Susan lacht glücklich in die Cam und schwenkt diese zu Simba. „Schauen sie, Barbarella, er ist wie neu! Alles ist überstanden. Der Tierarzt gab uns eine gute Prognose und meinte, Simba könnte locker noch 1 bis 3 Jahre gut leben. Sie glauben gar nicht, wie glücklich ich bin. Er ist mein Ein und Alles! Aber denken sie jetzt nicht, ich hätte ihn nicht erlöst, wenn es besser für ihn gewesen wäre. So egoistisch bin ich nicht! Nach Absprache mit dem Tierarzt gab es sehr gute Chancen und so habe ich den Operationen zugestimmt.“, fügte sie fast schon entschuldigend an. „Alles gut, Susan! Ich würde sie niemals verurteilen. Ich habe gesehen, dass Simba noch sehr gut in Schuss ist und ich habe auch bemerkt, dass sie ihn sehr lieben…und er sie. Nun haben sie Beide um sein Leben gekämpft und erstmal gewonnen! Ich gratuliere! Wie konnten sie das finanziell regeln und welches Geschäft bauen sie denn gerade auf?“, will ich weiter wissen. Sie richtet die Cam wieder auf sich und strahlt mir entgegen: „Also finanzieren konnte ich es, weil ich mein Herz an ein paar mitfühlende Menschen geöffnet habe, die mir mit Spenden geholfen haben. Außerdem war der Tierarzt geduldig. Ich bin so dankbar! Und das Geschäft, das ich aufbaue…nun ja, das kann ich nicht so kurz erklären. Ich sage mal so: Ich baue etwas Großes auf, das Menschen glücklich macht, aber was das ist, möchte ich jetzt nicht sagen, denn sonst überspringen wir ca. 46 Jahre meines Lebens und befinden uns im Jetzt. Das wollen wir doch nicht! Wir wollen eine Biografie schreiben und die beginnt bei null, oder nicht?“, fragt sie mich herausfordernd schmunzelnd. Ich nicke lächelnd und sehe, Susan ist eine harte Nuss. Wenn sie einen Weg so und so gehen will, dann geht sie ihn und entweder geht man mit ihr oder man läßt es. „Ja, sie haben natürlich recht! Wenn wir nun über die Gegenwart sprechen, hätte das Buch eine große Lücke. Es würde vermutlich sehr viele Fragen offen lassen und niemand wüßte, was sie zu so einer Kämpferin gemacht hat. Also dann lassen sie uns zum Ende der letzten Sitzung gehen. Ich wollte, so gerne mehr über Viva und sie erfahren, denn ich glaube, diese Frau war extrem wichtig für sie. Erzählen sie mir bitte ausführlicher, wie ihre Kindheit im Zusammenspiel mit ihr verlief. Aber bevor sie das tun, sagen sie mir bitte, warum sie Frieda Viva nannten. Viva ist das spanische Wort für Leben. Haben sie das damals schon gewußt?“ frage ich interessiert. Susan sieht grinsend zur Seite, ehe sie anfängt, mir zu antworten. „Das mit dem Namen ist ganz profan! Ich konnte als kleines Kind einfach nicht die Buchstabenverbindung FR aussprechen und so kreierte ich den Namen Viva.“ Ich lache auf, denn das ist wirklich süß, zumal ich mir etwas ganz Tiefes hinter dem Namen versprochen hatte. Susan lacht mit, wird dann aber wieder ernster und fügt an: „Nun gut, es war kindliche Kreativität, die mich den Namen ahnungslos kreieren ließ, aber viele Jahre später habe ich einem Mann davon erzählt und dieser war sehr tiefgründig. Auch ihm fiel auf, dass Viva das spanische Wort für Leben ist. Er meinte, das hatte wohl damals schon irgendwie etwas unterbewusst Symbolisches, denn Viva war für mich tatsächlich eine Art Lebenselixier, in dieser autoritären und kalten Umgebung, in der ich aufwuchs. Ich muss sagen, das, was er sagte, hatte mich damals sehr zum Nachdenken gebracht und ich bin der Meinung, er hatte recht. Sie war mein Lebenselixier, mein Engel, mein Anker im Sturm und mein Vorbild!“ Ich verstehe sie komplett und nicke ihr zustimmend zu. „Glauben sie an Schicksal oder Fügung?“, will ich wissen. Susan streicht sich durch die blonden Haare und sagt: „Ja, ich glaube, dass es für alles im Leben einen Grund gibt. Ich glaube, dass jede Begegnung einen Sinn hat. Ich glaube, dass einem irgendwie das Leben vorbestimmt ist. Ich glaube aber nicht an Religionen und ich glaube nicht an einen Gott, sondern an die Natur und die Kraft in uns selbst. Aber ich glaube, ich habe eine Art Schutzengel, der mich in letzter Sekunde immer rettet, weil er wieder mal mein SOS nicht gehört hat. Denn er sitzt ja immer besoffen in einer Kneipe und hat irgendwelche Frauen auf dem Schoß. Erst wenn mein SOS ganz laut wird, dann kommt er geflogen und hilft mir in letzter Sekunde - immer dann, wenn ich nur noch mit dem Fingernagel des kleinen Fingers über dem Abgrund hänge - dann kommt mein Schutzengel vorbei! Zumindest ist das so, seit Viva von mir ging.“ Ich kann nicht anders und lache laut auf. Allein die Vorstellung, wie Susans Schutzengel unterwegs ist, lässt meine Fantasie übersprudeln. „Na, herrlich Susan! So einen Typ braucht man! Wie gut, dass sie als Kind Viva hatten! Sie war wohl das genaue Gegenteil von ihm.“, stelle ich fest. Susan lacht mit und fügt an: „Das kann man wohl sagen, dass Viva das Gegenteil von ihm war und ich hoffe, dass Viva nochmal zum Dienst antritt, denn mit dieser unzuverlässigen Aushilfe, die sie da gesendet hat, bekomme ich mein neues Lebenswerk nur schwer groß!“ Wir amüsieren uns beidseitig noch ein wenig, bevor wir endlich wieder zurückkommen: zur kleinen Susan, die knapp 4 Jahre alt ist und mit Viva an ihrer Seite groß wird. Wir machen einen Zeitsprung und Susan erzählt weiter: Die ersten Jahre musste ich mein Zimmer noch mit Ingrid teilen, aber unser Vater baute zügig das Dachgeschoss aus, sodass „die beiden Großen“, wie meine Eltern sie nannten, zwei Etagen höher ihre Zimmer hatten. Ich bekam ein extra Zimmer im ersten Stock, direkt neben der Wohnung des anderen Mieters meiner Eltern: Herrn Serz. Er war ein sehr freundlicher, korrekter, älterer Herr. Er war ein ehemaliger Bankdirektor und - genau wie Viva - alleinstehend. Zusammen mit einem befreundeten Ehepaar unternahm er lange und spannende Fernreisen. Meine Mutter putzte seine Wohnung, wozu ich manchmal mitkommen durfte. Ich fand es so spannend bei Herrn Serz, denn in seiner Wohnung waren einige Mitbringsel seiner Fernreisen präsentiert, außerdem habe ich zu gerne seine Bücher- und Mineraliensammlung bestaunt. Er hatte viel Literatur über ferne Länder und über Kunst. Besonders liebte ich seinen alten wuchtigen Ohrensessel, in den ich mich zu gern setzte und mich wie eine kleine Königin fühlte, während ich seine Bücher oder Mineralien und Versteinerungen studierte. Durch ihn inspiriert, fing ich früh an, über ferne Länder nachzudenken und meine Leidenschaft für Mineralien zu entdecken. Mit meinen 1000 Fragen dazu, bin ich stets postwendend zu Viva, die, so gut es ging, diese Fragen beantwortete oder mit mir umgehend zur nächsten Mineralienausstellung lief, damit wir ein paar Steine für mich kauften. Meine Neugierde und mein Wissensdurst nach dem Leben wurde immer größer und so konnte ich morgens kaum erwarten, bis Viva endlich wach war, damit wir wieder los konnten. Oft schnürte ich mein Bündel an Klamotten bereits um 5 Uhr morgens und wartete ungeduldig, bis ich durch das hallende Treppenhaus endlich hörte, wie sie um 6 Uhr ihre Wohnungstür aufschloss. Sofort rannte ich dann immer im Schlafanzug nach unten, damit sie mir beim Anziehen half und ich mit ihr frühstücken konnte. Schließlich kam das Alter, in dem ich in den Kindergarten hätte gehen können. Ich werde nie vergessen, wie Viva mit mir zusammen immer wieder daran vorbeiging und mir erklärte, was das sei. Es hatte mich aber nie interessiert. An einem Tag, das weiß ich noch, blieben wir direkt vor dem Zaun stehen. Dahinter spielten viele Kinder. Sie rannten herum, zogen sich gegenseitig an den Haaren und haben, für meinen Begriff, unheimlich rumgebrüllt. Wir blieben also davor stehen, Viva hielt mich an der Hand und sie fragte: „Kindchen, willst du nicht auch in den Kindergarten gehen? Schau mal, wie schön, sie spielen. Du könntest andere Kinder kennenlernen.“ Just in diesem Moment rannte ein Junge an den Zaun, krallte sich in die Maschen, schwang darin nach vorne und hinten und brüllte mich, wie ein Wahnsinniger, an. Ich werde nie vergessen, wie entsetzt ich war. Ich sah nur meine Viva an und sagte: „Nein, bitte nicht. Die sind hier verrückt. Da gehe ich nicht hin.“ Viva lachte und so gingen wir Eis essen. Ich werde nie vergessen, wie glücklich ich mit ihr beim Eis saß und an mein Entkommen dieser Anstalt dachte.“ Ich unterbreche Susans Erzählung, da ich herzhaft lachen muß. „Das ist zu köstlich, Susan! Wirklich, das haben sie so empfunden?“ Susan lacht mit und bestätigt: „Ja, absolut. Das waren wirklich meine Gefühle und meine Gedanken! Ich war ab dem Moment, eine Kindergartenverweigerin. Ich dachte: wieso, soll ich zu diesen Wahnsinnigen, die mich anbrüllen und mir an den Haaren ziehen, wenn ich doch mit Viva so viel lernen und entdecken kann. Ich bin doch nicht verrückt! Ja, genau, mit diesen Gedanken saß ich danach mit ihr in der Eisdiele und später hat Viva das auch so meiner Mutter berichtet. Das Thema war somit durch und ich wurde nicht Zwangseingewiesen!“. Wieder muss ich über ihre Formulierung lachen. „Herrlich Susan, langsam wird ihre Geschichte immer lustiger. Ich bin froh! Aber dennoch, leicht war ihre Kindheit ja doch nicht. Erzählen sie mir bitte, wie es zwischenzeitlich in ihrem Elternhaus ablief und wie das Verhältnis zu ihren Geschwistern zwischenzeitlich verlief.“ Episode 5: "Alles gehört Ingrid!" …Das Verhältnis zu meiner Schwester wurde zunehmend schlimmer für mich, je älter ich wurde. Sie war bereits 14 Jahre alt, als ich 5 Jahre alt war und sie wurde von meiner Mutter mehr und mehr wie eine Freundin behandelt. Meine Mutter hatte keine Freundinnen ihres Alters, denn das hätte mein Vater auch gar nicht erlaubt. Also machte sie ihre Tochter Ingrid zur Verbündeten. Unsere Mutter vertraute ihr viele Dinge über ihre Ehe an und so entwickelte sich immer mehr ein Pakt zwischen den beiden. Allerdings war Ingrid auch absolut wichtig, dass unser Vater sie liebte und so versuchte sie alles, damit sie seine Aufmerksamkeit und seinen Lob bekam. Sie war Meisterin der Manipulation. Je besser ihre Intrigen funktionierten, desto härter wurde es für mich. Ich hatte ja schon erwähnt, dass auch unser gemeinsamer Bruder John sehr unter ihrer manipulativen Anstiftung leidtragend war. Ebenso erging es mir und zwar in der Form, dass sie bei unserer Mutter hetzte und dafür sorgte, dass ich ständig Ärger bekam. Nach außen hat sie es aber dann so hingestellt, als ob ich, die Fünfjährige, irgendetwas getan hätte, wofür sie nun leiden müsste. Ich war für sie von Geburt an ein Feind, der eliminiert werden muss. Wann immer sie konnte, schikanierte sie mich. Sie schickte mich beispielsweise nachts in den dunklen Keller, um für sie Getränke zu holen oder Ähnliches. Ich weiss noch, als ich einmal versuchte, mich zu wehren und sagte, dass ich nun nichts für sie holen würde, half meine Mutter zu ihr und so musste ich doch gehen. Ingrids spöttisches Gelächter verfolgte mich die Kellertreppe hinab. Früh machte sie auch klar, dass eigentlich alles im Haus ihr gehört. Die ersten Sätze, die ich bewusst wahrnahm in diesem Bereich waren, dass sie ständig vor mir zu unserer Mutter sagte: „Mutti, das weiße Geschirr gehört mir eines Tages oder Mutti, deinen Schmuck bekomme ich mal oder Mutti, die Vase bekommt mal nicht Susan! Die gehört mir!“ Wie gesagt, ich war in diesem Moment noch ein Kind von 5 oder 6 Jahren und bereits zu diesem Zeitpunkt war schon alles an Ingrid verteilt. Ich verstand nicht einmal, dass man auf alles seine Besitzansprüche anmelden müsste. Es war mir absolut fremd und irgendwie geht mir das heute noch so. Selbst wenn ich nur irgendeine Figur in die Hand nahm und diese einfach nur näher ansehen wollte, sagte mir meine Mutter sofort: „Das gehört mal Ingrid. Das kannst du nicht haben!“ Ich habe das wirklich nicht verstanden, aber stellte alles sofort wieder zurück. Für mich war irgendwie klar: ich darf nichts anfassen, denn alles gehört Ingrid. Ich mag wirklich ungern etwas Schlechtes über Menschen sagen, aber es ist die Wahrheit, wenn ich sage: Ingrid war ein kaltherziger, egoistischer, neidvoller und grausamer Mensch. Das Leid anderer bereitet ihr Freude. Vor allem das Leid von Menschen, denen sie neidvoll gegenübersteht. Es gibt außer ihr nur sie selbst und das, was aus ihr entsprungen ist. Ich habe Ingrid von jeher als Personifizierung des Bösen gesehen. Viva sagte nur immer: „Wo ist denn der Feldwebel?“, wenn sie von mir wissen wollte, wo Ingrid ist. Es gab Momente, da tat sie mir aber auch leid, denn sie war wirklich nicht von der Natur besonders gut bedacht: sie war ziemlich stämmig gebaut und hat sich mit ihrer Vorliebe für Schokolade noch einiges dran gegessen, das sie nie wieder wegbekam. Damit war sie nicht glücklich. Ihre Haare waren dünn und ihr Gesicht war zwar nicht häßlich, aber sie war definitiv nicht der Schwarm der Schule. Ich glaube, das war dann auch noch ihr zusätzliches Problem, da sie in dieses gewisse Alter kam, in dem Jungs interessant wurden. Aber irgendwie punktete sie scheinbar nicht. Ihren Frust ließ sie dann an mir zu Hause aus. Da sie auch noch glaubte, dass mein Vater mich mehr liebte und zwar einfach nur deswegen, weil er mich ständig überwachte und kontrollierte, wurde es immer schlimmer für mich. Sie war mein Albtraum! Meinen Bruder John hingegen liebte ich, denn er war meistens nett zu mir. Er war sehr ruhig und verschlossen. Außerdem schüchtern, da ihm mein Vater jegliche Daseinsberechtigung schon früh absprach. Für unseren Vater war John kein Mann, sondern ein Weichei, aus dem sowieso mal nichts wird. Die Einzige, die laut Aussagen unserer Eltern was drauf hätte, war Ingrid. Ich war ohnehin noch zu klein, aber auch da wurde bereits behauptet, dass ich ein viel zu sanftmütiges und dummes Lämmlein wäre, dass es mal zu nichts bringen würde. So sah ich wohl in John eine Art Seelenverwandten und ich war froh, wenn ich ihn manchmal in seinem Zimmer besuchen durfte, wo er seine Rennbahn aufgestellt hatte, mit dem Chemiekasten experimentierte oder Gitarre spielte. Da John aber 12 Jahre älter war als ich, hielt diese Zeit nicht lange an. Ich weiß noch, er war 18 Jahre alt, als er sich heimlich ein Auto kaufte. Nur meine Mutter wusste davon. Unglücklicherweise ist John damit in einen Weidezaun gefahren und dann in seiner Panik vor unserem Vater mit dem Auto geflüchtet. Ein paar Tage später stand der Bauer vor unserem Haus, dem der Zaun gehörte. Er wollte unseren Vater sprechen. Was dann kam, war der blanke Horror. Mein Vater kam ins Haus zurück und hat meinen Bruder so dermaßen im Treppenhaus verprügelt, dass dieser nur so auf die kantigen Marmorstufen mit dem Kopf knallte. Meine Mutter schubste mich schnell in die Wohnung zurück und sie musste dann mit ansehen, wie John von unserem Vater hart geschlagen wurde. Danach hat mein Vater meine Mutter zusammengeschrien, dass sie sicherlich von alldem wusste und dass das ein Skandal sei, wenn der Sohn des Polizisten Fahrerflucht begehen würde. Dieser Ärger hielt tagelang an. Ich glaube, das war dann der endgültige Punkt, dass John wusste, er muss so schnell wie möglich ausziehen. Er war zwar zu dieser Zeit bereits meistens in einem Wohnheim der nahegelegenen Großstadt untergebracht, um dort seine Berufsausbildung absolvieren zu können, aber dennoch war er auch immer mal zu Hause. Wie Ingrid, tat er sich mit dem anderen Geschlecht schwer. Er war zwar groß, schlank und gutaussehend, aber viel zu schüchtern und so hatte er lange keine Freundin und ich glaube, er war dadurch sehr oft depressiv. Ich war also froh, wenn ich doch mal zu ihm ins Zimmer konnte, um etwas Zeit mit ihm zu verbringen. Irgendwie fühlte ich mich durch all diese Zustände, wie ein Kind, das in dieser Familie nur abgegeben wurde und vergessen wurde. Ich konnte durch das alles, wie es mir selbst erging und auch, wie meine Geschwister sich verhalten haben, gar nicht glauben, dass ich mit diesen Leuten verwandt wäre. Ich war 5 Jahre alt, als ich erstmals und wirklich vollen Ernstes in Frage stellte, ob meine Mutter wirklich meine Mutter ist oder ob das vielleicht generell nur eine Leihfamilie wäre. Auch zog ich in Betracht, dass ich bei der Geburt vertauscht worden bin. Ich dachte über diese Fragen sehr intensiv nach und fragte die einzige Person, die ich so etwas fragen konnte: Viva. Ich kann mich noch gut erinnern, wie erstaunt sie über meine Gedanken war. Sie fragte: „Kindchen, wie kommst du denn da drauf?“ Ich sagte, dass ich das glaube, weil mich alle ständig anschreien und außerdem sind sie so anders als ich. Sie sind kalt, mögen keine Tiere und es geht immer nur um Besitz und Geld. Viva war sichtlich davon getroffen und sagte mir das auch noch, als ich bereits 35 Jahre alt war. Das hat sie nie vergessen, dass ich solche Zweifel in mir trug. Es war aber wirklich alles so fremd für mich. Der ganze Umgang miteinander und auch die Tatsache, dass ich immer die Welt am liebsten retten wollte (vor allem alle Tiere) und die Anderen sich überhaupt nicht für andere Geschöpfe interessiert haben, machte mich einfach stutzig, ob wir wirklich verwandt sind. Ich konnte das nicht verstehen, war ich doch das Kind, das Regenwürmer aus der Erde rettete, weil es dachte, die ersticken dort… An dieser Stelle müssen Susan und ich lachen. Ich unterbreche ihre Ausführung und sage: „Das ist jetzt wirklich niedlich. Was haben sie mit den Regenwürmern gemacht?“, will ich wissen. Susan steckt sich die Haare etwas hoch, während sie lachend antwortet: „Ich hatte sie in meinen Schürzentaschen gesammelt und dann ganz stolz meiner Mutter und Viva gezeigt. Meine Mutter war entsetzt und schickte mich damit weg. Aber Viva klärte mich auf, dass die Würmer in der Erde leben und woanders sterben würden. Also habe ich sie zusammen mit Viva wieder fein säuberlich nacheinander auf lockere Erde gesetzt und kontrolliert, ob sie alle sicher nach Hause kommen.“ „Herrlich, Susan! Ich bin wirklich froh, dass bei all diesen bisher harten Ereignissen dennoch immer etwas Zeit für lustige und unterhaltsame Bereiche sind. Das ist wirklich niedlich und zeigt natürlich auch einmal mehr, wer SIE sind. Ich glaube, sie waren der einzige Empath unter all den Narzissten und Egoisten der Familie. Kann das sein?“, frage ich nachdenklich. Susan nickt, „Ja, das war wohl so. Zumindest habe ich die Antworten auf all diese Fragen später in Tibet erhalten. „Das ist natürlich hart, wenn man als Letzte und dann auch noch als Empath unter lauter Erwachsene gerät, die überwiegend egoistisch und narzisstisch sind. Ich glaube, ich verstehe zunehmend, dass Viva ihr Lebenselixier war, so wie sie es nannten. Vermutlich wäre andernfalls ein total gebrochener und depressiver Mensch aus ihnen geworden oder was denken sie?“, frage ich. Susan blickt gedankenversunken aufs Meer und bestätigt: „Ja, das denke ich auch. Ich hätte das alles mental und vielleicht auch körperlich nicht überstanden, wenn nicht diese wunderbare, diplomatisch-kluge und charakterlich starke Frau bei uns eingezogen wäre. Sie hat mir eine andere Welt gezeigt.“ „Das leuchtet mir total ein. Aber ich muss sagen, dass ihr außergewöhnliches Leben viel Mut gibt. Da ich sie als absolut starke und lebensfrohe Frau wahrnehme, macht es mir wirklich große Freude, ihre Geschichte weiter aufschreiben zu dürfen. Es ist so spannend und inspirierend, wie sie es dennoch schafften, ihre ganz eigene Überlebensstrategie zu entwickeln und später den Weg einer selbstbewussten Frau gehen zu können, ohne dabei auch ein kalter Mensch zu werden. Jetzt will ich aber unbedingt wissen, wie es weitergeht und bitte verraten sie mir auch, ob und welche Überlebensstrategien sie entwickelten.“, bitte ich Susan aufgeregt. „Ja, ich sage ihnen gerne, was mich - außer Viva, am Leben hielt und stark machte. Meine Strategien fing ich an zu entwickeln, als ich ungefähr 4 - 5 Jahre alt war.. Ich habe mir diverse Slogans geschaffen, welche meine ganz persönlichen Gebote waren. Ich erzähle ihnen aber gerne noch mal ein paar andere Situationen, die ebenfalls sehr prägend für mich waren und die somit der Nährboden für meine Überlebensstrategien wurden.“, erklärt Susan und so erzählt sie weiter: .... Weiter geht es mit Episode 6. Diese und alle weiteren Episoden findest Du ab sofort wöchentlich im Abobereich des Forums. Mit nur € 9,95 kannst Du die spannende und inspirierende Lebensgeschichte von Susan wöchentlich live weiter verfolgen und noch vor der offiziellen Veröffentlichung lesen. Generelle Info zu diesem Buchprojekt: Nach 15 Episoden ist jeweils ein weiteres großes Kapitel der Biografie fertig. Diese kann man einzeln im Bookshop in korrigierter Form für ab € 14,95 erwerben. Wer vorher das Abo abgeschlossen hat, erhält auf die finalen Kapitel 50% Rabatt.Like
- Probe: Weil wir fliegen können(Am 03.12.2022 geschrieben und als Rohmanuskript sofort hochgeladen. Die Autorin behält sich vor, Änderungen und Korrekturen für die finale Version vorzunehmen, welche nach 15 einzelnen Episoden im Bookshop als PDF´s und Ebooks zu kaufen sein werden) Episode 5: "Alles gehört Ingrid!" …Das Verhältnis zu meiner Schwester wurde zunehmend schlimmer für mich, je älter ich wurde. Sie war bereits 14 Jahre alt, als ich 5 Jahre alt war und sie wurde von meiner Mutter mehr und mehr wie eine Freundin behandelt. Meine Mutter hatte keine Freundinnen ihres Alters, denn das hätte meinVater auch gar nicht erlaubt. Also machte sie ihre Tochter Ingrid zur Verbündeten. Unsere Mutter vertraute ihr viele Dinge über ihre Ehe an und so entwickelte sich immer mehr ein Pakt zwischen den beiden. Allerdings war Ingrid auch absolut wichtig, dass unser Vater sie liebte und so versuchte sie alles, damit sie seine Aufmerksamkeit und seinen Lob bekam. Sie war Meisterin der Manipulation. Je besser ihre Intrigen funktionierten, desto härter wurde es für mich. Ich hatte ja schon erwähnt, dass auch unser gemeinsamer Bruder John sehr unter ihrer manipulativen Anstiftung leidtragend war. Ebenso erging es mir und zwar in der Form, dass sie bei unserer Mutter hetzte und dafür sorgte, dass ich ständig Ärger bekam. Nach außen hat sie es aber dann so hingestellt, als ob ich, die Fünfjährige, irgendetwas getan hätte, wofür sie nun leiden müsste. Ich war für sie von Geburt an ein Feind, der eliminiert werden muss. Wann immer sie konnte, schikanierte sie mich. Sie schickte mich beispielsweise nachts in den dunklen Keller, um für sie Getränke zu holen oder Ähnliches. Ich weiss noch, als ich einmal versuchte, mich zu wehren und sagte, dass ich nun nichts für sie holen würde, half meine Mutter zu ihr und so musste ich doch gehen. Ingrids spöttisches Gelächter verfolgte mich die Kellertreppe hinab. Früh machte sie auch klar, dass eigentlich alles im Haus ihr gehört. Die ersten Sätze, die ich bewusst wahrnahm in diesem Bereich waren, dass sie ständig vor mir zu unserer Mutter sagte: „Mutti, das weiße Geschirr gehört mir eines Tages oder Mutti, deinen Schmuck bekomme ich mal oder Mutti, die Vase bekommt mal nicht Susan! Die gehört mir!“ Wie gesagt, ich war in diesem Moment noch ein Kind von 5 oder 6 Jahren und bereits zu diesem Zeitpunkt war schon alles an Ingrid verteilt. Ich verstand nicht einmal, dass man auf alles seine Besitzansprüche anmelden müsste. Es war mir absolut fremd und irgendwie geht mir das heute noch so. Selbst wenn ich nur irgendeine Figur in die Hand nahm und diese einfach nur näher ansehen wollte, sagte mir meine Mutter sofort: „Das gehört mal Ingrid. Das kannst du nicht haben!“ Ich habe das wirklich nicht verstanden, aber stellte alles sofort wieder zurück. Für mich war irgendwie klar: ich darf nichts anfassen, denn alles gehört Ingrid. Ich mag wirklich ungern etwas Schlechtes über Menschen sagen, aber es ist die Wahrheit, wenn ich sage: Ingrid war ein kaltherziger, egoistischer, neidvoller und grausamer Mensch. Das Leid anderer bereitet ihr Freude. Vor allem das Leid von Menschen, denen sie neidvoll gegenübersteht. Es gibt außer ihr nur sie selbst und das, was aus ihr entsprungen ist. Ich habe Ingrid von jeher als Personifizierung des Bösen gesehen. Viva sagte nur immer: „Wo ist denn der Feldwebel?“, wenn sie von mir wissen wollte, wo Ingrid ist. Es gab Momente, da tat sie mir aber auch leid, denn sie war wirklich nicht von der Natur besonders gut bedacht: sie war ziemlich stämmig gebaut und hat sich mit ihrer Vorliebe für Schokolade noch einiges dran gegessen, das sie nie wieder wegbekam. Damit war sie nicht glücklich. Ihre Haare waren dünn und ihr Gesicht war zwar nicht häßlich, aber sie war definitiv nicht der Schwarm der Schule. Ich glaube, das war dann auch noch ihr zusätzliches Problem, da sie in dieses gewisse Alter kam, in dem Jungs interessant wurden. Aber irgendwie punktete sie scheinbar nicht. Ihren Frust ließ sie dann an mir zu Hause aus. Da sie auch noch glaubte, dass mein Vater mich mehr liebte und zwar einfach nur deswegen, weil er mich ständig bewachte und kontrollierte, wurde es immer schlimmer für mich. Sie war mein Albtraum! Meinen Bruder John hingegen liebte ich, denn er war meistens nett zu mir. Er war sehr ruhig und verschlossen. Außerdem schüchtern, da ihm mein Vater jegliche Daseinsberechtigung schon früh absprach. Für unseren Vater war John kein Mann, sondern ein Weichei, aus dem sowieso mal nichts wird. Die Einzige, die laut Aussagen unserer Eltern was drauf hätte, war Ingrid. Ich war ohnehin noch zu klein, aber auch da wurde bereits behauptet, dass ich ein viel zu sanftmütiges und dummes Lämmlein wäre, dass es mal zu nichts bringen würde. So sah ich wohl in John eine Art Seelenverwandten und ich war froh, wenn ich ihn manchmal in seinem Zimmer besuchen durfte, wo er seine Rennbahn aufgestellt hatte, mit dem Chemiekasten experimentierte oder Gitarre spielte. Da John aber 12 Jahre älter war als ich, hielt diese Zeit nicht lange an. Ich weiß noch, er war 18 Jahre alt, als er sich heimlich ein Auto kaufte. Nur meine Mutter wusste davon. Unglücklicherweise ist John damit in einen Weidezaun gefahren und dann in seiner Panik vor unserem Vater mit dem Auto geflüchtet. Ein paar Tage später stand der Bauer vor unserem Haus, dem der Zaun gehörte. Er wollte unseren Vater sprechen. Was dann kam, war der blanke Horror. Mein Vater kam ins Haus zurück und hat meinen Bruder so dermaßen im Treppenhaus verprügelt, dass dieser nur so auf die kantigen Marmorstufen mit dem Kopf knallte. Meine Mutter schubste mich schnell in die Wohnung zurück und sie musste dann mit ansehen, wie John von unserem Vater hart geschlagen wurde. Danach hat mein Vater meine Mutter zusammengeschrien, dass sie sicherlich von alldem wusste und dass das ein Skandal sei, wenn der Sohn des Polizisten Fahrerflucht begehen würde. Dieser Ärger hielt tagelang an. Ich glaube, das war dann der endgültige Punkt, dass John wusste, er muss so schnell wie möglich ausziehen. Er war zwar zu dieser Zeit bereits meistens in einem Wohnheim der nahegelegenen Großstadt untergebracht, um dort seine Berufsausbildung absolvieren zu können, aber dennoch war er auch immer mal zu Hause. Wie Ingrid, tat er sich mit dem anderen Geschlecht schwer. Er war zwar groß, schlank und gutaussehend, aber viel zu schüchtern und so hatte er lange keine Freundin und ich glaube, er war dadurch sehr oft depressiv. Ich war also froh, wenn ich doch mal zu ihm ins Zimmer konnte, um etwas Zeit mit ihm zu verbringen. Irgendwie fühlte ich mich durch all diese Zustände, wie ein Kind, das in dieser Familie nur abgegeben wurde und vergessen wurde. Ich konnte durch das alles, wie es mir selbst erging und auch, wie meine Geschwister sich verhalten haben, gar nicht glauben, dass ich mit diesen Leuten verwandt wäre. Ich war 5 Jahre alt, als ich erstmals und wirklich vollen Ernstes in Frage stellte, ob meine Mutter wirklich meine Mutter ist oder ob das vielleicht generell nur eine Leihfamilie wäre. Auch zog ich in Betracht, dass ich bei der Geburt vertauscht worden bin. Ich dachte über diese Fragen sehr intensiv nach und fragte die einzige Person, die ich so etwas fragen konnte: Viva. Ich kann mich noch gut erinnern, wie erstaunt sie über meine Gedanken war. Sie fragte: „Kindchen. wie kommst du denn da drauf?“ Ich sagte, dass ich das glaube, weil mich alle ständig anschreien und außerdem sind sie so anders als ich. Sie sind kalt, mögen keine Tiere und es geht immer nur um Besitz und Geld. Viva war sichtlich davon getroffen und sagte mir das auch noch, als ich bereits 35 Jahre alt war. Das hat sie nie vergessen, dass ich solche Zweifel in mir trug. Es war aber wirklich alles so fremd für mich. Der ganze Umgang miteinander und auch die Tatsache, dass ich immer die Welt am liebsten retten wollte (vor allem alle Tiere) und die Anderen sich überhaupt nicht für andere Geschöpfe interessiert haben, machte mich einfach stutzig, ob wir wirklich verwandt sind. Ich konnte das nicht verstehen, war ich doch das Kind, das Regenwürmer aus der Erde rettete, weil es dachte, die ersticken dort… An dieser Stelle müssen Susan und ich lachen. Ich unterbreche ihre Ausführung und sage: „Das ist jetzt wirklich niedlich. Was haben sie mit den Regenwürmern gemacht?“, will ich wissen. Susan steckt sich die Haare etwas hoch, während sie lachend antwortet: „Ich hatte sie in meinen Schürzentaschen gesammelt und dann ganz stolz meiner Mutter und Viva gezeigt. Meine Mutter war entsetzt und schickte mich damit weg. Aber Viva klärte mich auf, dass die Würmer in der Erde leben und woanders sterben würden. Also habe ich sie zusammen mit Viva wieder fein säuberlich nacheinander auf lockere Erde gesetzt und kontrolliert, ob sie alle sicher nach Hause kommen.“ „Herrlich, Susan! Ich bin wirklich froh, dass bei all diesen bisher harten Ereignissen dennoch immer etwas Zeit für lustige und unterhaltsame Bereiche sind. Das ist wirklich niedlich und zeigt natürlich auch einmal mehr, wer SIE sind. Ich glaube, sie waren der einzige Empath unter all den Narzissten und Egoisten der Familie. Kann das sein?“, frage ich nachdenklich. Susan nickt, „Ja, das war wohl so. Zumindest habe ich die Antworten auf all diese Fragen später in Tibet erhalten. „Das ist natürlich hart, wenn man als Letzte und dann auch noch als Empath unter lauter Erwachsene gerät, die überwiegend egoistisch und narzisstisch sind. Ich glaube, ich verstehe zunehmend, dass Viva ihr Lebenselixier war, so wie sie es nannten. Vermutlich wäre andernfalls ein total gebrochener und depressiver Mensch aus ihnen geworden oder was denken sie?“, frage ich. Susan blickt gedankenversunken aufs Meer und bestätigt: „Ja, das denke ich auch. Ich hätte das alles mental und vielleicht auch körperlich nicht überstanden, wenn nicht diese wunderbare, diplomatisch-kluge und charakterlich starke Frau bei uns eingezogen wäre. Sie hat mir eine andere Welt gezeigt.“ „Das leuchtet mir total ein. Aber ich muss sagen, dass ihr außergewöhnliches Leben viel Mut gibt. Da ich sie als absolut starke und lebensfrohe Frau wahrnehme, macht es mir wirklich große Freude, ihre Geschichte weiter aufschreiben zu dürfen. Es ist so spannend und inspirierend, wie sie es dennoch schafften, ihre ganz eigene Überlebensstrategie zu entwickeln und später den Weg einer selbstbewussten Frau gehen konnten, ohne dabei auch ein kalter Mensch zu werden. Jetzt will ich aber unbedingt wissen, wie es weitergeht und bitte verraten sie mir auch, ob und welche Überlebensstrategien sie entwickelten.“, bitte ich Susan aufgeregt. „Ja, ich sage ihnen gerne, was mich - außer Viva, am Leben hielt und stark machte. Meine Strategien fing ich an zu entwickeln, als ich ungefähr 4 - 5 Jahre alt war.. Ich habe mir diverse Slogans geschaffen, welche meine ganz persönlichen Gebote waren. Ich erzähle ihnen aber gerne noch mal ein paar andere Situationen, die ebenfalls sehr prägend für mich waren und die somit der Nährboden für meine Überlebensstrategien wurden.“, erklärt Susan und so erzählt sie weiter: Fortsetzung kommenden Sonntag. Verpasse nicht, die Einleitung, Episode 1 , Episode 2, Episode 3 und Episode 4 vorab zu lesen. Im Abobereich kannst Du bereits alles Episoden bequem am Stück lesen. Sie sind dort teilweise auch schon weiter überarbeitet.)Like
- Probe: Weil wir fliegen können(Am 01.12.2022 geschrieben und als Rohmanuskript sofort hochgeladen. Die Autorin behält sich vor, Änderungen und Korrekturen für die finale Version vorzunehmen, welche nach 15 einzelnen Episoden im Bookshop als PDF´s und Ebooks zu kaufen sein werden) Episode 4: "Die Kindergartenverweigerin" Endlich ist es soweit, heute ist der neue Termin mit Susan. Wir werden künftig viele Videocalls abhalten, da die räumliche Distanz zu groß ist, als dass wir uns für jede Fortsetzung der Biografie persönlich treffen könnten. Aber hey….dafür leben wir in 2022. Ich bin sehr glücklich, dass es diese Art von Kommunikation gibt. So setze ich mich vor den Rechner und sende Susan die Einladung für unsere Videokonferenz. Sofort nimmt sie diese an und ich sehe, wie sie strahlend auf ihrer sonnigen Terrasse am Meer sitzt. „Na das nenne ich mal einen blendenden Auftritt, Susan! Wie geht es ihnen?“, will ich begeistert wissen. Sie nickt zufrieden und sagt: „Alles gut hier, danke! Allerdings gab es ein paar Turbulenzen und so ist es gut, dass wir etwas mehr Zeit verstreichen ließen, bis zum nächsten Termin.“ Ich bin natürlich neugierig und will wissen, was los war. Susan erwidert: „Ach…wo soll ich anfangen? Mein Leben ist eine einzige Achterbahn und die letzten Wochen waren wieder sehr hart, denn mein alter Simba hatte einige schwere Operationen. Ihm wurden zwei Geschwüre entfernt, wobei einer davon ein bösartiger Tumor war. Außerdem hatte er eine zweite OP, wobei ihm die Luftröhre geweitet wurde, da er aufgrund einer Kehlkopflähmung nur noch schlecht Luft bekam. Das war alles sehr anstrengend und belastend für uns beide und ich war in großer Sorge, ob er es überleben würde. Hinzu kommt, dass ich gerade eine neue Firma gründe, sehr wenige finanzielle Mittel dafür zur Verfügung habe und mir diese Eingriffe obendrein gar nicht leisten konnte.“ „Uff!“, entfährt es mir mitfühlend. „Das ist ja wirklich sehr hart und belastend! Waren denn die Operationen erfolgreich und wie haben sie das finanziell gelöst?“ Susan lacht glücklich in die Cam und schwenkt diese zu Simba. „Schauen sie, Barbarella, er ist wie neu! Alles ist überstanden. Der Tierarzt gab uns eine gute Prognose und meinte, Simba könnte locker noch 1 bis 3 Jahre gut leben. Sie glauben gar nicht, wie glücklich ich bin. Er ist mein Ein und Alles! Aber denken sie jetzt nicht, ich hätte ihn nicht erlöst, wenn es besser für ihn gewesen wäre. So egoistisch bin ich nicht! Nach Absprache mit dem Tierarzt gab es sehr gute Chancen und so habe ich den Operationen zugestimmt.“, fügte sie fast schon entschuldigend an. „Alles gut, Susan! Ich würde sie niemals verurteilen. Ich habe gesehen, dass Simba noch sehr gut in Schuss ist und ich habe auch bemerkt, dass sie ihn sehr lieben…und er sie. Nun haben sie Beide um sein Leben gekämpft und erstmal gewonnen! Ich gratuliere! Wie konnten sie das finanziell regeln und welches Geschäft bauen sie denn gerade auf?“, will ich weiter wissen. Sie richtet die Cam wieder auf sich und strahlt mir entgegen: „Also finanzieren konnte ich es, weil ich mein Herz an ein paar mitfühlende Menschen geöffnet habe, die mir mit Spenden geholfen haben. Außerdem war der Tierarzt geduldig. Ich bin so dankbar! Und das Geschäft, das ich aufbaue…nun ja, das kann ich nicht so kurz erklären. Ich sage mal so: Ich baue etwas Großes auf, das Menschen glücklich macht, aber was das ist, möchte ich jetzt nicht sagen, denn sonst überspringen wir ca. 46 Jahre meines Lebens und befinden uns im Jetzt. Das wollen wir doch nicht! Wir wollen eine Biografie schreiben und die beginnt bei null, oder nicht?“, fragt sie mich herausfordernd schmunzelnd. Ich nicke lächelnd und sehe, Susan ist eine harte Nuss. Wenn sie einen Weg so und so gehen will, dann geht sie ihn und entweder geht man mit ihr oder man läßt es. „Ja, sie haben natürlich recht! Wenn wir nun über die Gegenwart sprechen, hätte das Buch eine große Lücke. Es würde vermutlich sehr viele Fragen offen lassen und niemand wüßte, was sie zu so einer Kämpferin gemacht hat. Also dann lassen sie uns zum Ende der letzten Sitzung gehen. Ich wollte, so gerne mehr über Viva und sie erfahren, denn ich glaube, diese Frau war extrem wichtig für sie. Erzählen sie mir bitte ausführlicher, wie ihre Kindheit im Zusammenspiel mit ihr verlief. Aber bevor sie das tun, sagen sie mir bitte, warum sie Frieda Viva nannten. Viva ist das spanische Wort für Leben. Haben sie das damals schon gewußt?“ frage ich interessiert. Susan sieht grinsend zur Seite, ehe sie anfängt, mir zu antworten. „Das mit dem Namen ist ganz profan! Ich konnte als kleines Kind einfach nicht die Buchstabenverbindung FR aussprechen und so kreierte ich den Namen Viva.“ Ich lache auf, denn das ist wirklich süß, zumal ich mir etwas ganz Tiefes hinter dem Namen versprochen hatte. Susan lacht mit, wird dann aber wieder ernster und fügt an: „Nun gut, es war kindliche Kreativität, die mich den Namen ahnungslos kreieren ließ, aber viele Jahre später, habe ich einem Mann davon erzählt und dieser war sehr tiefgründig. Auch ihm fiel auf, dass Viva das spanische Wort für Leben ist. Er meinte, das hatte wohl damals schon irgendwie etwas unterbewusst Symbolisches, denn Viva war für mich tatsächlich eine Art Lebenselixier, in dieser autoritären und kalten Umgebung, in der ich aufwuchs. Ich muss sagen, das, was er sagte, hatte mich damals sehr zum Nachdenken gebracht und ich bin der Meinung, er hatte recht. Sie war mein Lebenselixier, mein Engel, mein Anker im Sturm und mein Vorbild!“ Ich verstehe sie komplett und nicke ihr zustimmend zu. „Glauben sie an Schicksal oder Fügung?“, will ich wissen. Susan streicht sich durch die blonden Haare und sagt: „Ja, ich glaube, dass es für alles im Leben einen Grund gibt. Ich glaube, dass jede Begegnung einen Sinn hat. Ich glaube, dass einem irgendwie das Leben vorbestimmt ist. Ich glaube aber nicht an Religionen und ich glaube nicht an einen Gott, sondern an die Natur und die Kraft in uns selbst. Aber ich glaube, ich habe eine Art Schutzengel, der mich in letzter Sekunde immer rettet, weil er wieder mal mein SOS nicht gehört hat. Denn er sitzt ja immer besoffen in einer Kneipe und hat irgendwelche Frauen auf dem Schoß. Erst wenn mein SOS ganz laut wird, dann kommt er geflogen und hilft mir in letzter Sekunde - immer dann, wenn ich nur noch mit dem Fingernagel des kleinen Fingers über dem Abgrund hänge - dann kommt mein Schutzengel vorbei! Zumindest ist das so, seit Viva von mir ging.“ Ich kann nicht anders und lache laut auf. Allein die Vorstellung, wie Susans Schutzengel unterwegs ist, lässt meine Fantasie übersprudeln. „Na, herrlich Susan! So einen Typ braucht man! Wie gut, dass sie als Kind Viva hatten! Sie war wohl das genaue Gegenteil von ihm.“, stelle ich fest. Susan lacht mit und fügt an: „Das kann man wohl sagen, dass Viva das Gegenteil von ihm war und ich hoffe, dass Viva nochmal zum Dienst antritt, denn mit dieser unzuverlässigen Aushilfe, die sie da gesendet hat, bekomme ich mein neues Lebenswerk nur schwer groß!“ Wir amüsieren uns beidseitig noch ein wenig, bevor wir endlich wieder zurückkommen: zur kleinen Susan, die knapp 4 Jahre alt ist und mit Viva an ihrer Seite groß wird. Wir machen einen Zeitsprung und Susan erzählt weiter: Die ersten Jahre musste ich mein Zimmer noch mit Ingrid teilen, aber unser Vater baute zügig das Dachgeschoss aus, sodass „die beiden Großen“, wie meine Eltern sie nannten, zwei Etagen höher ihre Zimmer hatten. Ich bekam ein extra Zimmer im ersten Stock, direkt neben der Wohnung des anderen Mieters meiner Eltern: Herrn Serz. Er war ein sehr freundlicher, korrekter, älterer Herr. Er war ein ehemaliger Bankdirektor und - genau wie Viva - alleinstehend. Zusammen mit einem befreundeten Ehepaar unternahm er lange und spannende Fernreisen. Meine Mutter putzte seine Wohnung, wozu ich manchmal mitkommen durfte. Ich fand es so spannend bei Herrn Serz, denn in seiner Wohnung waren einige Mitbringsel seiner Fernreisen präsentiert, außerdem habe ich zu gerne seine Bücher- und Mineraliensammlung bestaunt. Er hatte viel Literatur über ferne Länder und über Kunst. Besonders liebte ich seinen alten wuchtigen Ohrensessel, in den ich mich zu gern setzte und mich wie eine kleine Königin fühlte, während ich seine Bücher oder Mineralien und Versteinerungen studierte. Durch ihn inspiriert, fing ich früh an, über ferne Länder nachzudenken und meine Leidenschaft für Mineralien zu entdecken. Mit meinen 1000 Fragen dazu, bin ich stets postwendend zu Viva, die, so gut es ging, diese Fragen beantwortete oder mit mir umgehend zur nächsten Mineralienausstellung lief, damit wir ein paar Steine für mich kauften. Meine Neugierde und mein Wissensdurst nach dem Leben wurde immer größer und so konnte ich morgens kaum erwarten, bis Viva endlich wach war, damit wir wieder los konnten. Oft schnürte ich mein Bündel an Klamotten bereits um 5 Uhr morgens und wartete ungeduldig, bis ich durch das hallende Treppenhaus endlich hörte, wie sie um 6 Uhr ihre Wohnungstür aufschloss. Sofort rannte ich dann immer im Schlafanzug nach unten, damit sie mir beim Anziehen half und ich mit ihr frühstücken konnte. Schließlich kam das Alter, in dem ich in den Kindergarten hätte gehen können. Ich werde nie vergessen, wie Viva mit mir zusammen immer wieder daran vorbeiging und mir erklärte, was das sei. Es hatte mich aber nie interessiert. An einem Tag, das weiß ich noch, blieben wir direkt vor dem Zaun stehen. Dahinter spielten all die Kinder. Sie rannten herum, zogen sich gegenseitig an den Haaren und haben, für meinen Begriff, unheimlich rumgebrüllt. Wir blieben also davor stehen, Viva hielt mich an der Hand und sie fragte: „Kindchen, willst du nicht auch in den Kindergarten gehen? Schau mal, wie schön, sie spielen. Du könntest andere Kinder kennenlernen.“ Just in diesem Moment rannte ein Junge an den Zaun, krallte sich in die Maschen, schwang darin nach vorne und hinten und brüllte mich, wie ein Wahnsinniger, an. Ich werde nie vergessen, wie entsetzt ich war. Ich sah nur meine Viva an und sagte: „Nein, bitte nicht. Die sind hier verrückt. Da gehe ich nicht hin.“ Viva lachte und so gingen wir Eis essen. Ich werde nie vergessen, wie glücklich ich mit ihr beim Eis saß und an mein Entkommen dieser Anstalt dachte.“ Ich unterbreche Susans Erzählung, da ich herzhaft lachen muß. „Das ist zu köstlich, Susan! Wirklich, das haben sie so empfunden?“ Susan lacht mit und bestätigt: „Ja, absolut. Das waren wirklich meine Gefühle und meine Gedanken! Ich war ab dem Moment, eine Kindergartenverweigerin. Ich dachte: wieso, soll ich zu diesen Wahnsinnigen, die mich anbrüllen und mir an den Haaren ziehen, wenn ich doch mit Viva so viel lernen und entdecken kann. Ich bin doch nicht verrückt! Ja, genau, mit diesen Gedanken saß ich danach mit ihr in der Eisdiele und später hat Viva das auch so meiner Mutter berichtet. Das Thema war somit durch und ich wurde nicht Zwangseingewiesen!“. Wieder muss ich über ihre Formulierung lachen. „Herrlich Susan, langsam wird ihre Geschichte immer lustiger. Ich bin froh! Aber dennoch, leicht war ihre Kindheit ja doch nicht. Erzählen sie mir bitte, wie es zwischenzeitlich in ihrem Elternhaus ablief und wie das Verhältnis zu ihren Geschwistern zwischenzeitlich verlief.“ Fortsetzung kommenden Sonntag. Verpasse nicht, die Einleitung, Episode 1 , Episode 2 und Episode 3 vorab zu lesen. Im Abobereich kannst Du bereits alles Episoden bequem am Stück lesen. Sie sind dort teilweise auch schon weiter überarbeitet.)Like